Freiheit! – Freiheit?
„Freiheit“ ist zumindest in der Neuzeit zu einem Kernthema im Selbstverständnis des Menschen avanciert. Der Begriff hat mächtige Wirkungen entfaltet: Er hat die Individualität der menschlichen Person hervortreten lassen, den Begriff der Menschenwürde neu begründet und die Struktur der sozialen Beziehungen und Institutionen grundlegend verändert. Doch was bedeutet „Freiheit“ eigentlich? Formal kann Freiheit beschrieben werden als Zustand, keinem Zwang zu unterliegen sowie unabhängig Ziele setzen und Mittel wählen zu können. Auf einer tieferen Ebene meint Freiheit aber auch die Selbstbestimmung des Menschen im Verhältnis zu seiner Mit- und Umwelt sowie hinsichtlich seines eigenen Wesens und die Fähigkeit zu dessen Verwirklichung.
Freiheit impliziert Grenzen
Darüber hinaus bleibt es aber schwierig, Freiheit eindeutig zu definieren, weil der Begriff sehr unterschiedliche Bedeutungszusammenhänge umfasst: So besagt etwa der Begriff der politischen Freiheit, dass ein Gemeinwesen nach innen zur eigenständigen Setzung von Rechtsnormen, nach außen zur Selbstverteidigung fähig ist. Politische Freiheit zielt also auf die Beendigung oder wenigstens Eingrenzung der Macht (und also Freiheit) von Stärkeren ab. Sittliche Freiheit besagt dagegen, dass der einzelne Mensch sich selbst in ein Verhältnis zu naturalen Kausalitäten und sozialen Konsensregeln setzen und dementsprechend nach vernünftigen und sittlichen Grundsätzen handeln kann. Sie zielt ab auf die Befreiung von Determiniertheiten durch numinose Mächte, Naturgewalten oder natürliche Triebkräfte. Schließlich gibt es eine transzendentale Ebene von Freiheit, auf der es darum geht, Freiheit prinzipiell allen menschlichen Subjekten zuzusprechen und die eigene Freiheit auf diese Tatsache zu beziehen, darin zu begründen und zugleich einzugrenzen.
Bereits an dieser Stelle fällt auf, dass der Freiheitsbegriff in der philosophischen Tradition zwar einerseits auf die Befreiung von äußeren Zwängen abstellt, zugleich aber nicht ohne Eingrenzungen und Rahmensetzungen auskommt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass diese Einschränkungen dem menschlichen Subjekt nicht von außen aufgezwungen, sondern von diesem aufgrund eigenen Vernunftsgebrauchs, sittlicher Überzeugung und/oder (formal-)logischer Einsicht anerkannt werden. Die Tatsache, dass Freiheit zwar theoretisch, aber praktisch niemals absolut und als nur individuelle Kategorie gedacht und realisiert werden kann, hat mit der wesenhaften Sozialität der menschlichen Person zu tun: Die menschliche Existenz ist konstitutiv verwiesen auf, abhängig von und begrenzt durch andere Menschen.
Freiheit von …
Dieser Zusammenhang scheint in aktuellen Freiheitsdiskursen (etwa im politischen Kontext der Covid19-Pandemie aber auch in anderen Themenfeldern wie Wissenschaft und Kunst, Wirtschaft und Migration, Suizidbeihilfe und Lebensschutz) oftmals unterbelichtet zu sein: Freiheit wird häufig nur noch subjektiv als (Wahl-)Freiheit im Sinne der Abwesenheit von äußerem Zwang verstanden. Einem rein individualistischen Verständnis zufolge gilt der Mensch dabei als Monade mit potentiell unbegrenzter Freiheit, für welche die anderen Menschen nur als Grenze der eigenen Ausdehnung erscheinen, nicht aber als konstitutive Bedingung zur eigenen Selbstentfaltung. Vor diesem individualistischen Hintergrund erscheint menschliche Freiheit logischerweise stets als das Primäre, dem die Institutionen des Rechts, des Staates, aber etwa auch der Religion oder der faktenbasierten Wissenschaften lediglich von außen – eingrenzend und beschränkend – gegenüberstehen, die folglich in ihren die subjektive Freiheit begrenzenden Funktionen und Einflusssphären möglichst minimiert werden müssen.
Freiheit für …
Diese Institutionen konstituieren sich – zumindest von ihren historischen Wurzeln her – aber gerade als Werkzeuge eines ganz anderen – nämlich objektiven – Freiheitsbegriffs, der auf die Erreichung und Verwirklichung einer dem Menschen eigenen, von seiner subjektiven Willkür unabhängigen Bestimmung abstellt. Freiheit meint hier nicht Freiheit von äußerem Zwang, sondern Freiheit für die Verwirklichung der eigenen Bestimmung. Die gesellschaftlichen Institutionen schränken durch die Etablierung bestimmter Ordnungen (z.B Verfassung), Normen (z.B. Bildungsziele) und Pflichten (z.B. Steuer-, Beitrags- oder Schulpflicht) zwar die subjektiven Freiheiten ein, rechtfertigen das aber gerade als Ermöglichung und Absicherung der Verwirklichung der Ziele und Inhalte des genannten objektiven Freiheitsbegriffs.
Moderne pluralistische Gesellschaften geraten damit aber vor ein gravierendes Problem: Sie entbehren einer allgemeinen Verbindlichkeit und Gewissheit über die objektive Bestimmung des Menschen. An deren Stelle treten einander ablösende bzw. parallel bestehende Menschenbilder unterschiedlicher ideologischer und religiöser Provenienz. Eine Lösung für dieses Problem kann nun aber nicht in einem Gegeneinander-Ausspielen von subjektivem und objektivem Freiheitsverständnis auf Kosten des jeweils anderen gefunden werden, sondern nur in deren Vermittlung. Diese aber ist kein einmalig-punktueller Vorgang, sondern ein immer wieder neu und diskursiv zu führender öffentlicher und politischer Prozess zur Etablierung allgemein anerkannter Normen und diese absichernder Institutionen (z.B. Gesetze, Schul- und Sozialsystem), an dem alle davon tangierten Freiheitssubjekte zumindest potentiell und jedenfalls selbstbestimmt beteiligt sind.
Autor: Markus Schlagnitweit