Zum Österreichischen Regierungsprogramm „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“
Stellungnahme
Ein Regierungsprogramm dient als politischer Fahrplan, der die grundlegenden Ziele und Vorhaben einer Regierung für ihre Amtszeit skizziert. Es spiegelt politische Prioritäten wider und gibt Orientierung sowohl für die Regierenden als auch für die interessierte Öffentlichkeit. Das aktuelle Programm der Österreichischen Bundesregierung von ÖVP, SPÖ und NEOS zeigt deutliche Spuren des Zeitdrucks, unter dem es entstanden ist. Es fällt einerseits positiv auf durch die Breite an Themen, welche die Regierenden im Blick haben, andererseits lässt es Priorisierungen vermissen. Insgesamt liefert es ein Zeugnis für die Einsicht in die offensichtliche politische Notwendigkeit von Kompromissen.
Die auffällige Offenhaltung bzw. der noch formbare Gehalt bestimmter Programmpunkte mag den Umständen der Entstehung geschuldet sein, muss aber keinen Nachteil darstellen, sondern bietet auch deutliche Vorteile: Nicht jeder Aspekt muss von Anfang an bis ins kleinste Detail festgelegt sein. Die daraus resultierende Flexibilität ermöglicht es, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und vor allem externes Fachwissen in den politischen Prozess einzubinden. Expert:innen aus der Forschung sowie zivilgesellschaftliche Akteure wie NGOs und Interessenvertretungen können so ihre Perspektiven und Lösungsansätze in die konkrete Ausgestaltung politischer Maßnahmen einbringen. Diese partizipative Herangehensweise – sofern sie auch beabsichtigt ist – würde die gelebte Demokratie und demokratische Legitimität stärken. Diese Partizipation könnte vor allem aber zu besseren, praxistauglicheren Ergebnissen führen. Leider sind diese Momente im vorliegenden Programm nur vereinzelt anzutreffen (etwa bei der Digitalisierung/GovTech-Campus). Starke und deutliche Hinweise auf ein Bekenntnis zu partizipativen Prozessen und ihrer Förderung fehlen.
Trotz notwendiger Gestaltungsspielräume gibt es zentrale Bereiche, in denen das Regierungsprogramm unmissverständlich Stellung beziehen sollte und es teilweise auch tut. Dazu gehören der Schutz und die Stärkung der Demokratie, die uneingeschränkte Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte, das klare Bekenntnis zur Europäischen Union und ihren Grundwerten, zur UN-Behindertenrechtskonvention, zur Sozialpartnerschaft sowie – gerade in der aktuellen Situation – zur solidarischen Unterstützung der Ukraine. Ebenso essenziell sind Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung verfolgter Minderheiten bzw. benachteiligter Randgruppen sowie das entschiedene Eintreten für humanitäre Hilfe und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit. Auch die deutliche Selbstverpflichtung als militärisch neutraler Staat zu internationaler Friedensarbeit verdient positive Erwähnung. Diese grundlegenden Werte und Verpflichtungen dürfen aber nicht vage bleiben, sondern müssen konkret dargestellt werden, da sie das ethische und politische Fundament einer Regierung bilden und für das Vertrauen der Bürger:innen bzw. aller in Österreich lebenden Menschen und des Auslands entscheidend sind.
Hier gibt es leider auch Kritikpunkte am aktuellen Regierungsprogramm. Konkret betrifft das außer die schon erwähnten fehlenden Maßnahmen zur Partizipation von Bürger:innen, vor allem auch jene zur politischen Teilhabe und Einbindung dauerhaft hier lebender Migrant:innen, einschließlich EU-Bürger:innen. Sozialpolitische Ansätze zu transnationaler, europäischer Gerechtigkeit beschränken sich lediglich auf vage Absichtserklärungen.
Weitere Defizite zeigen sich in den – bis auf wenige Ausnahmen – ohne konkrete Zielangaben unverbindlich bleibenden Klimazielen und im pauschalen Stopp des Familiennachzugs entgegen humanitärer Grundsätze. Es fehlt zudem an konkreten Strategien zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, einem regulatorischen Rahmen für KI-Anwendungen mit transparenten Ethikstandards, einem klaren Bekenntnis zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen, sowie – über Absichtserklärungen hinaus – einer echten Strategie zur Bekämpfung rechtsradikaler, (neo-)faschistischer und sonstiger antidemokratischer Strömungen.
Was die konkrete Finanzierung von Maßnahmen zur Realisierung der im Programm dargestellten Regierungsziele betrifft, bleibt das Programm wesentliche Antworten schuldig – so entscheidend diese Fragen im Kontext der notwendigen Budgetkonsolidierung sind. Gerade in diesem Zusammenhang fällt erstens auf, dass viele Vorhaben unter den Vorgehalt des Budgets gestellt sind. Zweitens fallen deshalb fehlende Prioritätensetzungen schmerzlich ins Gewicht und geben Anlass zu Befürchtungen, dass in Summe vielleicht viel Sinnvolles und Notwendiges geplant wird, aber unter dem erwartbaren Druck der Budgetkonsolidierung dann in seinen Ansätzen stecken und in seiner Wirkung ungenügend bleibt. Das betrifft etwa den Bereich der Integrations-, Bildungs- und Sicherheitspolitik, aber auch der Armutsbekämpfung und des Umweltschutzes. Weniger dem Spardruck als vermutlich politischen Differenzen geschuldet, geben auch die angedachten Schritte im Bereich der Pensionsreform wenig Anlass zur Hoffnung auf wirksame Maßnahmen, die aber gerade budgetwirksam wären: Die hier angedachten Fristen liegen jenseits der Legislaturperiode, und nachhaltig verbindliche Gesetzesvorhaben werden nicht genannt.
Die ksœ sieht im aktuellen Regierungsprogramm insgesamt durchaus einen Aufruf an zivilgesellschaftliche Akteure, sich aktiv in die politischen Debatten einzubringen und die teils noch form- und gestaltbaren Inhalte durch konstruktive Vorschläge zu ergänzen. Dabei bedarf es nicht zuletzt auch von Seiten der Regierungsparteien eines responsiven Verhaltens gegenüber der Zivilgesellschaft und eines lebhaften Diskurses im Parlament selbst. Politische Lösungen dürfen daher nicht dem Populismus und Aktionismus verfallen, sondern müssen sachbezogen, mit professioneller Distanz und mit dem notwendigen gegenseitigen Respekt gesucht werden. Gleichzeitig ist auch die Zivilgesellschaft nicht nur zu aktiver Mitwirkung, sondern auch zu Kompromissfähigkeit und -bereitschaft aufgerufen.
Veröffentlichungsdatum: 07.03.2025
Rückfragen: Markus Schlagnitweit, Sebastian Thieme, Johannes Webhofer
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