Wohnen ist ein Menschenrecht
ksœ Stellungnahme
Wohnen ist ein existenzielles Grundbedürfnis, dessen Stillung ein Menschenrecht und insofern eine Grundaufgabe verantwortungsvoller Sozialpolitik.1 Im Sinne der Katholischen Soziallehre ist eine solche letztlich dem Gemeinwohl einer Gesellschaft verpflichtet, das sich als „das größte Glück aller Einzelnen eines Sozialgebildes in Gegenwart und Zukunft mit vorrangiger Beachtung vitaler Grundbedürfnisse für alle“2 definieren lässt. Die „vorrangige Beachtung vitaler Grundbedürfnisse für alle“ ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung!
Schon lange weisen etwa die Mitgliedseinrichtungen der Österr. Armutskonferenz darauf hin, dass die Ausgaben für Wohnen die Haushalte vieler Menschen in Österreich an den Rand ihrer Belastbarkeit und sogar darüber hinaus bringen. Die außerordentliche Teuerungsrate des vergangenen Jahres und die bevorstehende Anpassung der Miettarife an diese verschärfen diese Situation zusätzlich, allen voran für jene Menschen, die nicht in den Genuss eines Teuerungsausgleichs etwa durch entsprechende kollektivvertragliche Einkommenserhöhungen kommen.
Leider hat es die österreichische Bundesregierung verabsäumt, hier zeitgerecht gegenzusteuern. Obwohl es generell zu Preisregulierungen – zu denen auch ein Mietpreisdeckel gehört – wirtschaftstheoretische Kontroversen gibt, gab es mit der Streckung der Mietpreisanpassung auf mehrere Jahre einen Vorschlag, der von vielen Ökonom*innen als vernünftiger und pragmatischer Kompromiss begrüßt wurde. Er hätte zumindest unmittelbar drohende finanzielle Überlastungen ärmerer Haushalte verringern geholfen. Kritik an dem Vorschlag hätte man allenfalls an einer mangelnden Zielgerichtetheit bzw. Treffsicherheit (Stichwort: Gießkanne) üben können.
Das war – zumindest der medialen Berichterstattung zufolge – aber nicht der Grund für das politische Scheitern der vorgeschlagenen Maßnahme, vielmehr deren Junktimierung mit Freibeträgen bei der Grunderwerbssteuer. Das ist aus sozialethischer Sicht zu kritisieren: Hier wurde eine wenigstens kurzfristige Maßnahme zur unmittelbaren Stützung des Grundrechts auf Wohnen mit zwar legitimen Interessen in Hinblick auf die Bildung von privatem Eigentum gegenverhandelt, die gleichwohl nicht das Gewicht eines existenziellen Grundbedürfnisses für sich beanspruchen können. Die Katholische Soziallehre kennt eine vorrangige Option für die Armen, aber keine vorrangige Option für (die Interessen von) Privateigentum! Kommt es also nicht doch noch rechtzeitig zu einer politischen Einigung, wurde eine Chance sozialpolitischer Armutsbekämpfung zugunsten nachrangigerer Interessen vertan. (Die Katholische Soziallehre heißt zwar die Bildung von Privateigentum gut als Bedingung der Möglichkeit wirtschaftlicher Freiheit und Eigenverantwortung, aber wiederum vorrangig für Menschen (noch) ohne eigenes Vermögen und keinesfalls zulasten der vorrangigen Stillung vitaler Grundbedürfnisse für alle. Außerdem unterstellt sie jedes Eigentum einer sozialen Verpflichtung.)
Insgesamt liegt das Grundproblem leistbaren Wohnraums für alle Menschen freilich tiefer. Wenn der freie Wohnungsmarkt vielen Menschen einen solchen nicht mehr garantieren kann, dann ist die öffentliche Hand gefordert. Langfristig betrachtet wird die Förderung sozialen, nicht gewinn-orientierten Wohnbaus vermutlich die nachhaltigere wohnungspolitische Lösung sein als direkte Eingriffe in die Mietpreisbildung. Die Stadt Wien mit ihrem ungewöhnlich hohen Anteil an kommunalem Wohnbau gilt in diesem Kontext international als Vorzeige-Modell; die Wohnungspreise sind im direkten Vergleich mit an Größe, Lebensqualität, Bevölkerungsstruktur etc. vergleichbaren Städten immer noch niedrig. Auch im Interesse der Klima- und Umweltgerechtigkeit (Stichwort Bodenverbrauch, klimaneutrales und ressourcenschonendes Bauen, Infrastruktur etc.) ist die Förderung gemeinschaftlicher Wohnraumschaffung und -bewirtschaftung der Förderung von privatem Eigenheim-Bau vorzuziehen.
Entsprechende Entwicklungen sind aber nicht nur Aufgabe der Politik, sondern auch der Zivilgesellschaft. Selbst wenn es keine gesetzlichen Regelungen zur Erstreckung der Mietpreisanpassung über einen längeren Zeitraum gibt, bleibt es Vermietern unbenommen, eine solche – nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten – für ihre Wohnobjekte bzw. Mietverträge umzusetzen. Sie würden damit im Sinne der Sozialpflichtigkeit des Eigentums verantwortungsvoll handeln und zweifellos einen wertvollen Beitrag zur Abwendung existenzieller Notlagen leisten. Kirchliche Institutionen, Orden etc., die ebenfalls Wohn-Immobilien besitzen, sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen, sofern sie es nicht ohnehin schon tun. Das gilt nicht nur in Hinblick auf die Erstreckung von Mietpreiserhöhungen über einen längeren Zeitraum, sondern auch für private wie kirchliche Bauträger in der Realisierung sozialer und gemeinschaftlicher Wohnbau-Projekte.
[1] Vgl. Europ. Sozialcharta (revidiert), Art. 31 (Das Recht auf Wohnung), [2023-03-01]
[2] Zsifkovits, V.: Wege zur Verwirklichung des internationalen Gemeinwohls, in: Klose, A. u.a. (Hgg.): Ordnung im sozialen Wandel, 592.
Veröffentlichungsdatum: 01.03.2023
Autor: Markus Schlagnitweit