Zur Wohnraum Leerstandsabgabe
ksœ Stellungnahme
Im Rahmen der Debatte um den erneuten Versuch, eine Wohnraum-Leerstandsabgabe einzuführen, verweisen Verfassungsrechtler darauf, dass es notwendig ist, zuvor entsprechende Änderungen in der Bundesverfassung selbst vorzunehmen. Es geht in dieser Frage aber nicht nur um eine Neuaufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern.
Aus Sicht der Katholischen Soziallehre wäre auch eine verfassungsrechtliche Abschwächung der De-facto-Tabuisierung von Privateigentum zu begrüßen:
Zwar affirmiert bereits die erste päpstliche Sozialenzyklika Pp. Leos XIII. Rerum novarum (1891) ein Recht auf Privateigentum ausdrücklich. Das muss zunächst zeithistorisch als Gegenposition zur generellen Negation von Privateigentum durch den Marxismus verstanden werden. Rerum novarum und spätere Dokumente des kirchlichen Lehramts begründen das Recht auf Privateigentum jedenfalls damit, dass dieses zumindest auf ökonomischer Ebene „den unbedingt nötigen Raum für eigenverantwortliche Gestaltung des persönlichen Lebens … als eine Art Verlängerung der menschlichen Freiheit“[1] vermittle. Privateigentum ist demnach als notwendige Voraussetzung sittlichen – und d.h. eigenverantwortlichen – Handelns unbedingt anzuerkennen.
Allerdings wurde in der kirchlichen Sozialtradition dieses Recht niemals absolut verstanden! Das Recht auf Privateigentum gilt stets nur unter Maßgabe des vorrangigen Grundprinzips der universellen Bestimmung der Güter für alle Menschen. Im Klartext: Wo durch Privateigentum Einzelner anderen Menschen das zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige vorenthalten wird, verliert das Privateigentum zwar nicht sein Recht, sehr wohl aber seine Unantastbarkeit.
Genau daran entzündet sich die aktuelle Debatte: Der auch durch hohe Wohnraum-Leerstände verengte Wohnungsmarkt behindert für ärmere Bevölkerungsgruppen, insbesondere für junge Menschen und Familien, die leistbare Realisierung ihres Grundrechts auf Wohnen erheblich. In diesem Zusammenhang stellt sich die bislang noch kaum diskutierte Frage, wem die Mittel aus einer allfälligen Leerstandsabgabe zufließen sollen: Die ksœ plädiert hier für gemeinnützige bzw. soziale Wohnbauprojekte.
Das in der Kath. Soziallehre sittlich begründete Recht auf Privateigentum zielt ja überdies auf dessen sittlichen Gebrauch im Sinne des Gemeinwohls. Die kirchliche Sozialverkündigung unterstellt das Privateigentum also einer entsprechenden Sozialpflichtigkeit. Aus dieser ergibt sich – wenigstens auf der Ebene des ethischen Diskurses – eine klare Absage an alle Positionen, die privatem Eigentum bzw. Vermögen absoluten Schutz sowie ein unumschränktes Recht auf Rendite einzuräumen versuchen. Dieser Schutz muss spätestens dort eine Grenze finden, wo er der gesellschaftlichen Verpflichtung des Eigentums, also übergeordneten sozialen, ökologischen und/oder kulturellen Interessen entgegensteht.
Der soziale Verpflichtungscharakter von Eigentum hat in der gesamten biblischen Tradition einen hohen Stellenwert. Besonders im Neuen Testament wird der verantwortliche Umgang mit Eigentum in zweifacher Weise gefordert: Zum einen im Appell an die vorrangige praktische Solidarität mit Armen und Benachteiligten, zum anderen – und damit über den Begriff der tätigen Nächstenliebe und Solidarität hinausreichend – in der Betonung der Sozialpflichtigkeit von Eigentum, die der Rolle des Menschen als Sachwalter Gottes und Mitschöpfer guten Lebens entspricht.
In der Realität ist freilich zwischen einem juristischen und einem sittlichen Pflichtbegriff zu unterscheiden. Das gesetzlich verbriefte Recht auf Privateigentum besagt dessen weitgehende Schutzwürdigkeit, weil es ansonsten überhaupt in Frage gestellt sein könnte. Die sittlichen Verpflichtungen des Privateigentums können allerdings auf der Basis ethischer Urteils- und demokratischer Willensbildung in einer Gesellschaft in deren Rechtsordnung bzw. Verfassung Eingang finden. Aus Sicht der Kath. Soziallehre wäre deshalb eine Rechtsordnung zu begrüßen, die zwar ein Recht auf Privateigentum affirmiert und schützt, dieses selbst aber keineswegs tabuisiert.
Veröffentlichungsdatum: 4. Mai 2022
Autor: Markus Schlagnitweit
[1] 2. Vatikan. Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 71: AAS 58 (1966) 1092-1093.