Zum Tag der Arbeit
ksœ Stellungnahme
Arbeit ist für das biblische Menschenbild und dementsprechend auch in der Kath. Soziallehre (KSL) konstitutiv für die Entfaltung der menschlichen Person. Die KSL spricht in diesem Zusammenhang sogar von der „Würde der Arbeit“ und steht nicht an, Arbeit als sittliche Pflicht jedes Menschen (nach Maßgabe seiner Möglichkeiten) zu postulieren. Allerdings ist der biblische Arbeitsbegriff und darauf aufbauend jener der KSL nicht auf den engen Begriff der (auf dem Arbeitsmarkt handelbaren) Erwerbsarbeit beschränkt. Denn für die KSL hat Arbeit nicht nur eine naturale Funktion im Dienste der Existenzsicherung bzw. des Unterhaltserwerbs: Als Mitwirkung am göttlichen Schöpfungswerk (religiöse Dimension) muss sie zudem in einem positiven Verhältnis zu Um- und Mitwelt stehen und dem Leben dienen. Arbeit hat ferner eine personale Dimension, sofern der Mensch darin seine einzigartigen Begabungen und Fähigkeiten kreativ zur Entfaltung bringen kann und seine personale Würde als Ebenbild des Schöpfergottes realisiert. Arbeit integriert den Menschen schließlich auch sozial, schafft ihm Anerkennung sowie Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation, Organisation und Mitwirkung. Diese von der KSL geforderte soziale und politische Dimension der Arbeit bleibt in der herrschenden Marktökonomie zumindest allen unbezahlten Arbeiten weitgehend versagt – obwohl diese für ein menschenwürdiges und zivilisiertes gesellschaftliches Zusammenleben unverzichtbaren Formen von Arbeit weltweit rd. zwei Drittel aller menschlichen Arbeitsleistungen ausmachen!
Die im 2. Thessalonicherbrief des Apostels Paulus mit dem Wort „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ angesprochene und von der KSL affirmierte sittliche Arbeitspflicht kann jedenfalls nur für Formen von Arbeit gelten, in denen die von der KSL geforderten Dimensionen wahrhaft menschlicher Arbeit in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, also nicht etwa die Naturalfunktion einseitig über alle anderen Dimensionen dominiert. Nicht jede Form der heute am Arbeitsmarkt angebotenen Erwerbsarbeit ist demnach automatisch jene der Entfaltung des Humanums dienliche „gute“ und würdevolle Arbeit, zu welcher allein ein Mensch moralisch verpflichtet werden kann.
Aus der Sicht der KSL ist deshalb auch einem Sozialsystem mit kritischem Vorbehalt zu begegnen, das die Erfüllung dieser Arbeitspflicht ausschließlich an der Integration in den Erwerbsarbeitsmarkt bemisst und nur im Falle von deren Unmöglichkeit „einspringt“. Demgegenüber könnte die Realisierung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) für alle einen wertvollen Beitrag dazu leisten, die soziale Ungerechtigkeiten und andere Verwerfungen generierende Koppelung von sozialer Sicherheit und gesellschaftlicher Teilhabe an marktkonforme Erwerbsarbeit ebenso aufzubrechen wie die Engführung des Arbeitsbegriffs auf eben diese. Gerade in diesem Zusammenhang zeigt die Erfahrung, dass alleine schon die Debatte um ein BGE auch die unverzichtbare, immer wieder neu zu führende Auseinandersetzung um Sinn, Würde und Bedeutung von Arbeit sowohl für die Entfaltung der menschlichen Person als auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert.
Autor: Markus Schlagnitweit