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Fairness, Macht und Qualität
Über die gesellschaftspolitische Relevanz von Frauen in der Technik
Verfasst am 16. Juni 2020
„Frauen in die Technik“ heißt es in Frauenfördermaßnahmen, Technikerinnenpreise werden ausgeschrieben, Mentoringprogramme eingeführt. Warum und wer profitiert dadurch? Und können wir uns beruhigt zurücklehnen, wenn mehr Frauen in der Technik sind?
Es ist in Österreich gerade mal 100 Jahre her, dass Frauen an einer Technischen Universität inskribieren durften – und das auch nur, wenn sie „ohne Schädigung und Beeinträchtigung der männlichen Studierenden nach den vorhandenen räumlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen der einzelnen Hochschulen Platz finden können“, wie es im damaligen Erlass hieß. Im ersten Studienjahr 1919/20 haben schließlich 20 Frauen ein Studium an der damaligen Technischen Hochschule Wien begonnen, ein Frauenanteil von 0,4 Prozent. Heute sind an der Technischen Universität Wien – mit 28.000 Studierenden die größte Technische Universität Österreichs – rund ein Drittel Frauen unter den Studienbeginner_innen, ein stetiger, erfreulicher Zuwachs. Seit 2004 hat sich die TU Wien zudem in ihrem Frauenförderungsplan eine 50%-Quote in allen Hierarchieebenen auferlegt. Denn strukturell gilt es, die Unterrepräsentation von Frauen zu beheben – sie machen die Hälfte der Bevölkerung aus.
Mitbestimmen
Aus einer Fairness- und Gleichstellungsperspektive ist es notwendig, dass Frauen in ebensolchen Anteilen in der Technik vertreten sind. Nicht zuletzt sprechen wir von Jobs, die gut bezahlt sind – und zu deren Ausübung alle die gleichen Chancen haben sollten.
Technik, Technologien und Naturwissenschaften haben massiven Einfluss auf unsere Gesellschaft und stehen im Wechselspiel mit dieser. Das erleben wir gerade im Bereich der Digitalisierung: digitale Technologien sind heute nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Es ist zwar schwer vorauszusagen, vor welchen Herausforderungen wir mit dem digitalen Wandel zukünftig stehen: Werden Roboter bestimmte Arbeitsplätze ersetzen? Wie wirkt sich Künstliche Intelligenz auf unseren Alltag aus? Wer entscheidet über diese Entwicklungen? Doch klar ist: Frauen sollten in diesen Fragen ebenso mitbestimmen dürfen wie Männer, geht es doch um unsere gemeinsame Zukunft. Es ist eine Frage der Macht, an diesen Entwicklungen beteiligt zu sein.
Ökonomische Überlegungen argumentieren, dass Potenzial von Frauen unnötig verpufft, wenn es nicht in der Entwicklung von Technologien verwendet wird. In Zeiten von Fachkräftemangel werden Frauen gerne adressiert, um doch noch die nötigen Arbeitskräfte zu bekommen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Außerdem sollen Frauen die eher homogenen Entwicklerteams diverser machen – für mehr Kreativität und bessere Lösungen. Nicht zuletzt können Unternehmen dadurch ihre Zielgruppe erweitern und somit ihren Gewinn steigern.
Bessere Produkte
Ein weiteres Argument für mehr Frauen in der Technik ist Produktqualität: wenn Frauen keine Entwicklerinnen sind und auch sonst niemand ihre Erfahrungen mitdenkt, laufen die entwickelten Produkte Gefahr, von Frauen nicht verwendet werden zu können. So kennen wir Garagentore, die sich mittels Stimmerkennung öffnen lassen – aber nur, wenn die Stimme tief ist. Gesundheits-Apps, die vom Gewicht bis zur Anzahl der Stürze unzählige körperliche Parameter aufzeichnen können, der Menstruationszyklus aber vergessen wurde. Oder das Beispiel mit dem Sicherheitsgurt: Crashtest-Dummys waren jahrzehntelang nur einem Durchschnittsmann nachempfunden. Davon haben Frauen Schäden davongetragen: sie haben bei einem Unfall weit häufiger Verletzungen als Männer, auch ihr Sterberisiko ist bei einem Unfall höher. Föten sind ebenso gefährdet, denn der klassische 3-Punkt-Gurt schützt sie oft nicht. Erst seit 1996 gibt es „schwangere“ Crash-Test-Dummys.
Solche Produkt-Fails betreffen übrigens nicht nur Frauen – solange Entwicklerteams in der Mehrheit weiße Mittelschicht-Männer ohne Behinderung sind, werden andere Perspektiven oft vergessen. 2017 kursierte etwa das Beispiel eines elektronischen Seifenspenders, der sogar einem weißen Handtuch Seife gibt – nicht aber einer Person mit dunkler Hautfarbe. Unlängst wurden in Wien sogenannte intelligente Ampelsysteme erprobt, die von selbst erkennen, wann sie für Fußgänger_innen umschalten sollen. Das hat für die meisten Menschen gut funktioniert – nicht aber für Menschen, die im Rollstuhl unterwegs sind, oder die, die einen Kinderwagen schieben und von der Ampel „noch nicht optimal“ erkannt wurden. Dieses „Vergessen“ von anderen Perspektiven und Bedürfnissen ist selbstverständlich nicht beabsichtigt. Technikteams wollen durchaus Produkte entwickeln, die von möglichst vielen Menschen benutzt werden können. Sie beraten sich auch mit ihrem Umfeld in bestem Gewissen. Doch dieses Umfeld ist meist homogen und neue Perspektiven werden, wenn, dann im bestehenden Entwicklungsprozess eingebracht – häufig aber nicht von Anfang an, wenn die Frage ist, für welche Bedürfnisse Lösungen entwickelt werden sollen.
Noch immer gilt Technik als „männlich“
Zurück zur Forderung, es braucht mehr Frauen in der Technik: Dass ihr Anteil noch nicht bei 50 Prozent liegt, ist nicht ihnen anzulasten. Denn wir leben immer noch in einer Gesellschaft, die Technik als männliche Domäne versteht. Das war nicht immer so. Ursprünglich zählte zu den „Techniken“ alles, das jemand regelmäßig und gekonnt ausgeübt hat, etwa auch Rhetorik oder Pädagogik. Dies änderte sich ab dem 18. Jahrhundert und gerade die Bereiche, in denen mehrheitlich Frauen tätig waren, zählen heute nicht mehr zu den Techniken.
Frauen wurden aber auch aktiv aus der Technik ausgeschlossen. Mit der Industrialisierung kam eine Geschlechtertrennung der Arbeiter_innenklasse, Frauen wurden entweder in den Haushalt oder in unqualifizierte Berufe gedrängt, gleichzeitig galten (und gelten) Berufe mit hohem Frauenanteil als weniger qualifiziert. Dass Technik also bis heute als männliches Terrain gilt, liegt nicht am fehlenden Interesse von Frauen, sondern am Zusammenwirken vieler Faktoren. Und es ist höchste Zeit, diese männliche Bastion zu stören.
Wenn wir vielfältige Perspektiven in der Technik wollen (und uns damit gleichzeitig bessere Produkte einkaufen), müssen wir Frauen allerdings nicht nur rekrutieren, sondern auch halten. So sehr wir uns beispielsweise an der TU Wien über ein Drittel Frauen unter den Studienbeginner_innen freuen: noch erfreulicher wäre es, wenn wir diesen Frauenanteil auch noch nach dem Master-Abschluss hätten. Wir erleben an Universitäten oft die sogenannte „Leaky Pipeline“ – das bedeutet, dass Frauen mit zunehmender Karrierestufe in immer geringeren Anteilen vertreten sind. Zwar bleibt das Drittel bis zu den Studienabsolventinnen in etwa gleich, doch unter den Doktorand_innen beträgt der Frauenanteil nur mehr 20 Prozent, unter den Professor_innen derzeit 13 Prozent. Der niedrige Frauenanteil in der Technik ist übrigens kein österreichisches Phänomen, sondern findet sich ebenso auf EU-Ebene.
Strukturen ändern
Hier muss auch an bestehenden, informellen Spielregeln angesetzt werden: sexistische oder rassistische Bemerkungen, Absprachen abseits formeller Sitzungen, das Spüren lassen von Hierarchien und Macht oder auch sogenannte Non-Events – Frauen werden eben nicht mitgenommen zu einem wichtigen Treffen, nicht eingebunden in eine Forschungsgruppe, nicht gefragt, ob sie zur Konferenz mitfahren wollen. Es ist eine andauernde Reflexion über die eigenen Vorurteile notwendig, um einem Gender Bias – also je nach Geschlecht unterschiedliche Vorannahmen zu haben – zu entgehen. Der Gender Bias erledigt sich weder von selbst, noch vom Vorhandensein von mehr Frauen. Vielmehr ist es notwendig, an den Strukturen anzusetzen: etwa Recruiting-Verfahren bestmöglich geschlechtergerecht zu gestalten – mit geschlechtssensiblen Ausschreibungstexten, transparenten Einstellungskriterien und einer Reflexion darüber, welche Bewerber_innen für geeignet(er) gehalten werden – und warum. Auch die Einführung einer Frauenquote kann ein nützliches Instrument sein, genauso wie finanzielle Anreize, wenn Frauen eingestellt werden. Denn solange wir in einer Gesellschaft groß werden, die Technik noch immer als männliche Domäne versteht, solange Mädchen in der Schule in MINT-Fächern weniger gefördert werden als Buben, solange wird es notwendig sein, diesen Nachteilsausgleich mittels Frauenfördermaßnahmen zu bearbeiten, um Chancengleichheit herzustellen.
Allerdings ist auch Frau sein alleine kein Programm, und die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe bedeutet nicht zwingend, in keine geschlechterstereotypen Fallen zu tappen (und Frauen sind – wie auch alle anderen Geschlechter – keine homogene Gruppe). Auch mit mehr Frauen in der Technik sind wir noch lange nicht am Ziel. Weder sind Frauen die besseren Menschen, noch sind sie dazu da, um auf die bisherigen Leerstellen hinzuweisen. Auch die Verantwortung beispielsweise, dringende ökologische oder ethische Fragen in der Technik zu lösen, kann nicht alleine Frauen aufgebürdet werden. Unsere technologische Zukunft, unsere Arbeitskultur und unseren Umgang miteinander müssen wir uns alle gemeinsam ausmachen.
Über die Autorin
Bettoma Enzenhofer hat Publizistik und Gender Studies studiert. Sie arbeitet an der TU Wien in der Abteilung Genderkompetenz im Rahmen des EU-Projekts „Gender Equality in Engineering through Communication and Commitment“.
(Anm.: 2019 schloss die ksoe das zweijährige EU-Projekt „Gender Equality in Digital Entrepreneurship“ ab, mehr Informationen unter https://www.ksoe.at/digitalent )