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Der Wald als Klimaschützer
Verfasst am 19. November 2020
Erst heuer im Frühjahr hatte der Vatikan einen neuen Leitfaden vorgestellt, der Wege zu einem „ökologischen Wandel“ aufzeigen soll. Die Globale Katholische Klimabewegung (GCCM) gab Anfang dieser Woche bekannt, dass 47 katholische, protestantische und jüdische Institutionen aus 21 Ländern gemeinsam ihr Kapital aus Projekten im Zusammenhang mit fossilen Energien abziehen werden. Der Klimaschutz ist ein globales Problem, hat aber auch ganz individuelle Ansatzpunkte. Was hat die/der Einzelne in der Hand, worauf können wir alle achten? Magdalena Holztrattner führte für die ksoe ein Interview mit dem Kleinwaldbesitzer Rüdiger Kretschmer, der vormacht, wie man durch nachhaltige Bewirtschaftung und Erhalt der Artenvielfalt wesentlich zum Klimaschutz beitragen kann.
Der Wald – Mythos, Lebensraum, Luftreiniger, Wirtschaftsfaktor und noch vieles mehr. Fast die Hälfte unseres Landes besteht aus Wald. Damit haben wir in Österreich Glück, denn der Wald ist für den Klimaschutz und damit unsere Gesundheit unentbehrlich. Der heimische Wald mit Waldboden speichert gesamt rund 985 Mio. Tonnen Kohlenstoff (oder rund 3,6 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente – das ist mehr als das Vierzigfache des jährlichen CO2-Ausstoßes in Österreich von 79,7 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten). Jede Sekunde wächst ein Kubikmeter Holz in Österreichs Wald nach, somit bindet der Wald jede Sekunde 200 kg Kohlenstoff bzw. 750 kg CO2. [1] Übersetzt heißt das: Unsere Wälder binden etwa 35 Mal die heimischen CO2-Emissionen eines Jahres.
Aber die Kultivierung der Waldflächen durch uns Menschen und die starke Orientierung an der Profitabilität erweisen sich immer mehr als großes Problem, denn die Konzentration auf Monokulturen (insbesondere die Fichte) hat zu einem Artensterben geführt und den Baumbestand stark bedroht.
Herr Kretschmer, Sie propagieren den insektenfreundlichen Wald. Was stellen wir uns darunter vor?
Wir leben in einer Zeit, wo bereits achtzig Prozent der Insekten ausgestorben sind, das hat u.a. Folgen für die Landwirtschaft. Das zweite große Problem bei mir im Waldviertel ist, dass die Fichte durch massivem Borkenkäfer-Befall einfach ausstirbt. Sie passt eigentlich nicht zum Standort, ihre Abwehrmechanismen versagen, wenn sie zu wenig Wasser und zu viel Hitze ertragen muss. Der Schädling kann so ganze Wälder vernichten. Wir haben seit zehn Jahren zu wenig Niederschlag, Jahr für Jahr. Ein Baum wird bis zu sechshundert Jahre alt, der kann schon einmal fünf Jahre gut kompensieren, wenn die Umwelteinflüsse nicht passen – jetzt ist er allerdings an dem Punkt, wo er es nicht mehr kann.
Was ist das Problem mit Fichtenwäldern in Österreich?
Die Fichte wäre bei uns ja eigentlich nur Mischungspartner mit Buche und Tanne, ist aber die letzten hundertfünfzig Jahre als Monokultur gesetzt worden und hat somit alle ihre Mischungspartner verdrängt. Jetzt kriegen wir die Rechnung präsentiert: Der Borkenkäfer vermehrt sich explosionsartig, der mag hohe Temperaturen und den Stress, den die Fichte hat, kann er optimal für sich nutzen. Man hat das schon vor ein paar Jahren gesehen: die Fichte hat alle Jahre geblüht und Samen gebildet. Dass ist ein Stress-Zeichen. Der Baum steckt alle Kraft in die Vermehrung, hat keine Kraft mehr für die Abwehr. Ein strenger Winter – wie man früher geglaubt hat – hilft da nicht mehr und auch die natürlichen Feinde vom Borkenkäfer fehlen.
Wieso, was ist passiert?
Zum Beispiel der Ameisenbuntkäfer, oder verschiedene Schlupfwespen, die den Borkenkäfer parasitieren oder auffressen, sind einfach nicht da. Meine Theorie: Wir haben sie totgespritzt. Nicht absichtlich, aber wenn man Lausmittel spritzt, erwischt man auch Tiere, die gar nicht unmittelbar auf der Kulturpflanze sitzen, sondern irgendwo am Waldrand. Ich schätze, dass wir die mittlerweile schon soweit dezimiert haben, dass sie sich mit der explosionsartigen Vermehrung vom Borkenkäfer einfach nicht mitvermehren können. Deswegen sollten wir die jetzt hektarweise kahlen Flächen, die der Sonne ausgesetzt sind und austrocknen, möglichst schnell renaturieren und dort auch einen Rückzugsort für Tiere schaffen. Für Insekten, aber auch beispielsweise für Niederwild. Man kann Nischen schaffen und untereinander so vernetzen, dass das nicht nur ein einzelner Rückzugsort ist, sondern dass sich da wirklich eine Population wieder vermehren kann und von dort aus wieder das Kulturland besiedelt.
Wie kann so etwas organisiert sein?
Der größte Waldbesitzer ist eigentlich der Privatwald, wir müssten wieder Bäume anpflanzen, die mit dem Klimawandel zurechtkommen – das ist eben nicht die Fichte. Die wird wahrscheinlich irgendwann einmal nur mehr im Berggebiet zu finden sein. Überlegen wir, welche Baumarten zum veränderten Klima passen. Die Eiche bietet sich an, sie hält Trockenheit und Hitze gut aus, außerdem ist sie in Mitteleuropa der Baum, der am meisten Insekten beherbergt oder Nahrung gibt – rund 400 Arten können in ihr leben. Auch die Salweide ist gut, die hat dreihundert Arten. Auf einer Thujen-Hecke findet man vielleicht noch zehn Arten, und auf einen kurz geschorenen grünen Rasen, wo der Mäh-Roboter drüberfährt, nix mehr. Auch Blüten sind für Insekten wichtig, also sollte man am Waldrand was bieten, etwa Schlehen, Dirndln, Weißdorn oder Hollunder, Haselnuss, Birke oder Erle. Das bringt den Insekten viel und das bringt auch Unterstand und Schutz vor allem für das Niederwild. Eigentlich ist der Waldrand ja die produktivste Zone in Mitteleuropa, weil da Wiese und Wald zusammenkommen. Auch unsere Heilkräuter wachsen dort bestens. Natürlich muss man immer den Standort anschauen, wie ist der Boden, gibt es eine starke Humus-Auflage, ist Schotter darunter, ist es sandig und so weiter.
Wieso passiert das nicht, was spricht dagegen?
Waldbesitzer möchten gern auch Wertholz haben, der Anspruch auf Rentabilität ist allgegenwärtig. Da muss man wirklich genau überlegen, was man wo hinsetzt. Die Linde wäre beispielsweise ein ideales Wertholz, und wird auch von Insekten geliebt. Man denke nur an Bienen und den Honig, den sie produzieren. Außerdem ist Lindenholz auch zum Schnitzen und für Rahmen etc. toll – sie ist insekten- und besitzerfreundlich zugleich. Oder die Hainbuche, sie ist das härteste Holz bei uns und hat einen sehr hohen Brennwert. Aber auch bei der Energieholzgewinnung gilt: der Standort muss passen. Pappel und Weiden geben z.B. auch tolles Energieholz, brauchen aber viel Wasser.
Welche Kriterien muss ein gesunder, insektenfreundlicher Wald noch erfüllen?
Viele Insekten brauchen auch Totholz zum Brüten, wo sie sich hineinbohren können. Eigentlich geht es damit um die Vielfalt, die ist uns im Wald abhandengekommen. Je mehr Biodiversität, desto besser. Das Problem ist hauptsächlich, dass die Holzindustrie heute an der Fichte hängt, dem „Brotbaum des Forstmannes“. Von dem müssen wir uns aber verabschieden, die Fichte überlebt nicht. Bei der Tanne ist es fraglich, denn der ist es heute im Jugendstadium eigentlich schon zu heiß. Ich würde mich jedenfalls eher an heimischen Hölzern orientieren, schauen, was im kontinentalen Klima wächst. Ich bin kein Prophet, aber ich vermute, es wird eher kontinental, mit Starkniederschlägen zwischendurch. Es wird heiß und trocken, kalt und trocken und dazwischen kommt die Überschwemmung. Und mit welcher Baumartenzusammenstellung man so etwas abfedern kann – das ist aus heutiger Sicht sehr schwierig zu sagen. Skeptisch bin ich gegenüber den Neophyten – also Baumarten, die als Schnellreparatur von irgendwoher dahergebracht werden, weil die meistens wieder eigene Schädlinge mitbringen und manches Mal auch invasiv werden.
Was ist Ihr Rat für kleine WaldbesitzerInnen?
KleinwaldbesitzerInnen würde ich eher raten, dass sie sich vielleicht zusammenschließen, damit sie Bäume und auch die zum Arbeiten nötigen Maschinen gemeinsam einkaufen können. Dann schauen, was ist Naturanflug, was kommt von alleine und dann würde ich noch gezielt Einzelbaumschutz gegen Wildverbiss betreiben – der teurer sein kann, dafür aber effektiv ist. Ein paar Zielbaumarten eben wie zum Beispiel Eiche setzen, und, wo es passt, vielleicht Schwarznuss, Bergahorn, Linde. Sogar Kirsche wenn es geht. Generell sollten wir alle nicht warten, bis sich in der Politik was tut, sondern selbst aktiv werden. Nicht das Alte mit dem Alten bekämpfen, sondern neue Lösungen für neue Situationen suchen. Der Wald ist für uns alle wichtig, und dass Mischwald das Beste ist, haben wir früher eigentlich schon in der Schule gelernt. Wald ist eine nachhaltige Investition, da muss man auch in Generationen denken.
Jede/r GartenbesitzerIn kann auch schon einen Beitrag leisten gegen das Insektensterben, indem etwa heimische Blüten- und Obstgehölze als Hecke gesetzt werden, anstatt Thujen und Forsythien. Setzen wir nicht irgendwelche exotische Koniferen, sondern heimische Bäume und lassen wir irgendwo im Garten ein wildes Eck oder gleich die Blumenwiese stehen anstatt englischem Rasen. Denn auch das schöne Insektenhotel hilft nichts, wenn keine Nahrung für die Insekten da ist.
[1] https://www.bmlrt.gv.at/service/presse/forst/2019/K-stinger—sterreichs-Wald-w-chst-jedes-Jahr-um-3.400-Hektar.html
Über die AutorInnen
Rüdiger Kretschmer ist Lebensmitteltechnologe, Käsemacher und Kleinwaldbesitzer im Waldviertel. Das Interview führte Dr. Magdalena M. Holztrattner für die ksoe