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24.5.2017
Was gibt es Neues? Grundeinkommen aus feministischer Perspektive
„In der Familie der Mutter mussten alle den Lohn an den Vater abliefern. Dann wurde, nach den notwendigen Haushaltsausgaben, das Geld wieder verteilt: Männer, die bezahlte Arbeit verrichteten, bekamen 10 Franken; Frauen, die sowohl bezahlte als auch unbezahlte Arbeit verrichteten bekamen 5 Franken und Frauen, die ‚nur‘ unbezahlte Arbeit verrichteten, bekamen nichts.“ Diese Darstellung ist einer Pressemeldung aus Anlass des jüngsten Wien-Besuchs einer der interessantesten Gegenwarts-Ökonominnen, Mascha Madörin, zu entnehmen. Die Schweizerin ist gerade 70 Jahre alt geworden. Was sie aus ihrer Familiengeschichte kennt, wurde zu einem zentralen Bezugspunkt ihrer Forschung: das Aufzeigen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten und deren Aufrechterhaltung durch ökonomische Modelle und wirtschaftspolitische Praxis. Bis heute.
In Österreich werden jährlich mehr unbezahlte Arbeitsstunden geleistet als bezahlte. 2/3 davon werden von Frauen verrichtet. Bei der bezahlten Erwerbsarbeit dreht sich das Verhältnis um: 61% wird von den Männern verrichtet, 39% von den Frauen. Wenig beachtet ist der sich ergebende Zusammenhang: Frauen verdienen nicht weniger als Männer, weil sie „zu wenig“ arbeiten, sondern weil sie „zu viel“ unbezahlt arbeiten. Käthe Knittler, österreichische Ökonomin, spricht von einem „strategischen Schweigen“ über diese Zusammenhänge. Die Auswirkungen dieser Arbeitsteilung sind hingegen nicht zu verschweigen und äußerst augenfällig: Gender Pay und Gender Time Gap, höhere Armutsgefährdung von Frauen, höhere Abhängigkeit von sozialstaatlichen Leistungen, niedrige Frauenpensionen, etc.. Und das, obwohl die Leistungen von Frauen im Bereich der Sorgearbeit Voraussetzung für das Funktionieren unserer profitorientierten Wirtschaftsweise sind, so wie ihre vielfältigen Leistungen am Markt ein wesentliches „Schmiermittel“ für diese Wirtschaftsweise darstellen.
Wer sorgt dann noch?
Kritik am Bedingungslosen Grundeinkommen beinhaltet meist die Frage: wer arbeitet dann noch? Gemeint ist damit fast immer die Frage nach bezahlter Erwerbsarbeit. Mindestens so naheliegend ist aber die Frage: wer erbringt dann noch unbezahlte Arbeit? Oder ganz salopp und den gängig gewordenen englischen Ausdruck für „Sorgearbeit“ benützend: who cares? Diese Frage wird aber kaum gestellt, weder von Männern, noch von Frauen – und das sollte eigentlich beunruhigen. Beunruhigen deswegen, weil diese nicht gestellte Frage der Hinweis sein könnte, dass die Mehrzahl der Männer annimmt, die nicht oder schlecht bezahlte Sorgearbeit würde in jedem Fall – also auch in einer Gesellschaftsordnung mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen – weiter von Frauen gemacht. Frauen könnten diese Frage nicht stellen, weil auch sie damit rechnen (müssen), dass alles so bleibt, wie es ist – Grundeinkommen Hin oder Her. Und man muss zugeben: beide Sichtweisen sind nicht von der Hand zu weisen. Ein Blick auf die Geschichte geschlechterhierarchischer Arbeitsteilung zeigt deren Beharrungsvermögen. Ein Blick in die gegenwärtige Grundeinkommens-Diskussion zeigt die Gefahr der Blindheit gegenüber geschlechtsspezifischer Ungleichheit. Und dennoch.
Einkommen von Arbeit und Leistung trennen
Was ist das Provokanteste am Bedingungslosen Grundeinkommen? Die Forderung nach einer existenz- und teilhabesichernden Höhe? Oder die Forderung, es als individuelles Recht auszugestalten und nicht an Haushaltseinkommen zu binden? Oder doch die Forderung nach der Bedingungslosigkeit? Dass keine Ansprüche im Sozialversicherungssystem erworben werden müssen, dass keine Bedürftigkeit nachzuweisen ist? Alle Aspekte bieten das Potential, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu erschüttern.
Aber am Provokantesten ist wohl, dass durch das Bedingungslose Grundeinkommen nichts entgolten wird: keine Tätigkeit, keine Leistung wird 1:1 bezahlt bzw. finanziell anerkannt. Die bisher geltenden Bewertungsmaßstäbe für den Bezug von Einkommen wären außer Kraft gesetzt. Anders ausgedrückt: die Einkommensordnung eines Bedingungslosen Grundeinkommens respektiert jeden Beitrag zum Zustandekommen von Gesellschaftlichkeit, Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse und Bewahrung der Schöpfung. Die Verhandlungsmacht speziell von Frauen in Bezug auf Einkommen, Arbeitsbedingungen, Arbeitsteilung, eingesetzte Zeit wäre gestärkt und das würde für alle Sektoren gelten, in denen sie tätig sind: im Haushalt, in den Einrichtungen des Dritten Sektors, im öffentlichen Bereich, in den Unternehmen des Profit-Sektors. Selbst das Arbeitsangebot im illegalen Sektor – auch hier wieder speziell im Bereich der vorwiegend von Frauen erbrachten illegalen Dienstleistungen – könnte sich durch diese gestärkte Verhandlungsmacht in Form einer als soziales Recht bedingungslos gewährten, individuellen Geldleistung in existenzsichernder Höhe verringern.
Sorg(e)loses System
Bis hierher sollte klar geworden sein: Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Garant für eine geschlechtergerechte Gesellschaft. Aber das bedingungslose Grundeinkommen verbessert die Bedingungen für die Kämpfe um eine solche Gesellschaft entscheidend! Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung individueller Verhandlungsmacht, sondern um eine Änderung der politisch-staatlichen Rahmenbedingungen. Wenn die „Sorg(e)losigkeit“ unseres Gemeinwesens allzu offenkundig wird, bestimmen kurze Zeit Begriffe wie „Pflege-Notstand“ und „Care-Krise“ die Medien und die Politik. (Pseudo-)Lösungen wie etwa die „24-Stunden-Pflege“ zeigen besonders deutlich den patriarchalen Subtext der Politik: die Lasten bleiben bei den Frauen, diesfalls migrantischer Frauen. Ein Sozialstaat mit bedingungslosem Grundeinkommen, der diese Muster überwindet, müsste aber gleichzeitig ein an sorgenden Qualitäten ausgerichteter Sozialstaat sein, mit entsprechenden Institutionen, entsprechender Infrastruktur und entsprechenden Arbeitsverhältnissen im Bereich der Kinderbetreuung, des Gesundheitswesens, der Pflege.
Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ist aus feministischer Perspektive ein wunderbarer Anstoß, breit die Frage zu diskutieren: wie können sich alle daran beteiligen das zu tun, was notwendig ist damit auch alle das tun können, was sie wirklich möchten? Das Bedingungslose Grundeinkommen, so die deutsche Politologin und Bloggerin Antje Schrupp, würde für die und den Einzelnen mehr Spielraum bringen, dem Kriterium der Notwendigkeit höhere Priorität einräumen zu können als dem Kriterium der Bezahlung.
Es geht um viel
Eine feministische und differenzierte, kritische Debatte um das Bedingungslose Grundeinkommen wird aktuell von Frauen und Männern gespeist, die das Grundeinkommen weder als isolierte sozialpolitische Maßnahme sehen, noch als DIE Lösung der vielfältigen anstehenden Probleme. Das Konzept des Grundeinkommens wird so positioniert als Teil der Lösung im Verbund mit anderen Konzepten aus dem Bereich der Demokratiereform, des alternativen Wirtschaftens, der Sozialstaatlichkeit, etc. So kann der Wandel hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft, in der alle gut leben können, gelingen. Eine ausgemachte Sache ist das nicht: Es darf gekämpft werden.
Der Beitrag ist zuerst erschienen in: Die Furche, 4.5.2017
Über die Autorin
Margit Appel, Politikwissenschafterin und Erwachsenenbildnerin, Mitarbeiterin der ksoe. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Verteilungsfragen, Wirtschaftsweise, Demokratie.
Literaturhinweise
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