|
25.3.2020
Corona-Krise als Chance zu sozial-ökologischer Transformation?
In kürzester Zeit scheint die Welt durch COVID-19 Kopf zu stehen. Wir steuern auf eine große Krise zu. Was können wir daraus lernen und für die Zeit nach der Krise mitnehmen?
Innerhalb kürzester Zeit wurde eine neue Krankheit zur globalen Pandemie „Corona Virus“. Bald überschlugen sich die Ereignisse quer über den Globus, Mitte März sprach man bereits von der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber welche globalen ökonomischen und sozialen Phänomene stehen dahinter, welche sozial-ethischen Herausforderungen ergeben sich daraus? Und welche Möglichkeiten haben wir, aus der Krise für eine sozial-ökologische Wende zu lernen?
Globalisierte Wirtschaft, imperiale Lebensweise und Corona
Die durch die Pandemie ausgelöste Krise zeigt vieles auf, das oft bloß unbewusst oder als Selbstverständlichkeit erlebt wird: Die Globalisierung ist so weit fortgeschritten, dass eine Krankheit nicht lange braucht, um den Weg von China über den Globus zu finden. Wenn nun Grenzen „dicht gemacht“ werden, offenbaren sich noch viele weitere Aspekte des internationalen Wirtschaftens. Für viele Pflegekräfte in Rumänien oder der Slowakei ist es beispielsweise lukrativer, in der 24-Studen-Hauspflege in Österreich zu arbeiten, als in Krankenhäusern ihrer Heimatländer. Damit verhelfen sie österreichischen älteren Menschen zu einem würdevolleren Leben in ihrem Zuhause und unterstützen die Angehörigen dieser Menschen, selbst einer (meist besser bezahlten) Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Auch die Reinigung wird in zahlreichen Haushalten der Mittel- und Oberschichten von Arbeitskräften aus den Nachbarländern übernommen. Der selbstverständliche Zugriff auf diese relativ „günstigen“ Arbeitskräfte ist nun in Frage gestellt.
Auch andere Berufsgruppen erweisen sich im Moment als essenziell für das Funktionieren unserer Gesellschaft: Beschäftigte im Lebensmittelhandel, ÄrtzInnen und Pflegekräfte, PostbotInnen, LenkerInnen im öffentlichen Verkehr, Zivildiener und Polizei. Sie alle werden so dringend benötigt, dass sie nicht Kurzarbeit und/oder Home Office machen können. Viele dieser system-notwendigen Arbeitskräfte verdienen deutlich weniger als der Durchschnitt.
Prioritäten der Gesellschaft
So gibt die aktuelle Krise einen Anstoß, gesellschaftliche Prioritäten zu hinterfragen: Wie steht es um die Arbeitsbedingungen der Menschen, die nun weiterhin als ErhalterInnen des Systems viele Kontakte mit Mitmenschen haben müssen? Sie setzen sich einem Risiko aus, damit zentrale Prozesse des Alltagslebens weiter gehen können. Viele dieser Berufe werden von Frauen ausgeführt und sind im Vergleich zu „Männerberufen“ deutlich unterbezahlt. Außerdem sehen wir jetzt, wie wichtig die Fürsorge-Arbeit für Kinder, ältere Menschen, Kranke, aber auch einfach im Dienst von Familie oder Gemeinschaft ist, die entweder unterdurchschnittlich oder gar nicht entlohnt wird. Höhere Gehälter in diesen Bereichen würden den Gender-Pay-Gap reduzieren und mehr Gerechtigkeit bringen.
Weitere Aspekte der Krise weisen auf andere Probleme hin: Warum ist die Gefahr des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems so groß? In vielen Ländern ist die Kapazitätsgrenze der Krankenhäuser schnell erreicht. Die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte setzte einerseits auf die Stärkung des profit-orientierten privaten Sektors. Die dadurch ausbleibenden Gelder schwächten den öffentlichen Gesundheitssektor enorm. Zusätzlich wurde im öffentlichen Sektor – auch in Österreich – immer mehr die betriebswirtschaftliche Rentabilität zum zentralen Bezugspunkt: Im „New Public Management“ geht es eben darum, dass die Zeiten, die ÄrztInnen oder PflegerInnen für einzelne PatientInnen haben, möglichst kurz sind. Ausgelastete Krankenhäuser sind effizient, während Leerstand ineffizient ist. Folgerichtig waren Krankenhäuser auch im Normalbetrieb schon voll ausgelastet, Reserven für die Krise kaum vorhanden.
Papst Franziskus kritisierte schon vor fünf Jahren in der Sozialenzyklika „Laudato Sí“ das „techno-ökonomische Paradigma“, diese Kritik ging einher mit der Verknüpfung von sozialen und ökologischen Anliegen. Für Papst Franziskus ist das Wohlbefinden „unsere Schwester, Mutter Erde“ eng mit dem menschlichen Wohlbefinden verbunden: „Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. Die Gewalt des von der Sünde verletzten menschlichen Herzens wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen bemerken.“
Die Corona-Pandemie entstand wahrscheinlich auf dem Tiermarkt von Wuhan, wo hunderte verschiedene Tierarten nicht artgerecht gehalten und geschlachtet wurden. Das zeigt den achtlosen Umgang mit Lebewesen, der sich nun als Bumerang erweist. Es geht jedoch nicht bloß um individuelle Verfehlungen, sondern um die systemische Einbettung und die Konsequenzen der aktuellen Krise.
Neue Formen der Solidarität
„Solidarität heißt Abstand zu den Mitmenschen halten“ hallt es jetzt aus vielen Munden. Begleitet durch staatlich Maßnahmen, müssen soziale Kontakte auf das notwendigste Minimum reduziert werden. Diese Form der Isolierung ist hart, in einer Zeit, die von Individualisierung, Vereinsamung und damit verbundenen psychischen Problemen geprägt ist. Und doch gibt es auch viele Impulse, die zeigen, dass der Zusammenhalt auch in Zeiten der Not gestärkt werden kann: Menschen, die aus Fenstern und Balkonen oder über Social Media musizieren, Nachbarschaftshilfe für ältere Menschen etc.
Gleichzeitig wird nun notgedrungen auch eine Art Experiment gestartet, was Wirtschaft und Mobilität betrifft: Der Flugverkehr ist im Begriff, weitgehend eingestellt zu werden. Fernreisen müssen storniert werden, plötzlich gibt es Online-Konferenzen statt Kurzaufenthalte für internationale Meetings. Home Office und Kurzarbeit werden zur Regel, während Büros und Fabriken weitgehend leer stehen. Dadurch sanken die CO2-Emmissionen stärker als je zuvor in den letzten Jahrzehnten. Die wirtschaftliche Rezession hat potenziell verheerende Auswirkungen für viele Menschen, die um ihre Existenz bangen müssen, gleichzeitig aber positive Auswirkungen auf die Umwelt.
Dies soll aber nicht als falscher Jubel über die Krise missverstanden werden. Wir befinden uns in einem Szenario, das Menschenleben kostet und wirtschaftlich eine Bedrohung darstellt. Die Zahl der Todesopfer nimmt zu. Innerhalb einer einzigen Woche wurden mehr als hunderttausend Menschen in Österreich arbeitslos. Das zeigt auf, dass es Lösungen für Arbeitslose und prekär Beschäftigte braucht.
Die Krise trifft einkommensschwache Haushalte jetzt schon besonders stark: Die Wohnverhältnisse sind deutlich beengter und der Zugang zu IT-Einrichtungen (Internet, PC, Drucker,…) oft eingeschränkt. Zu Hause lernen und arbeiten ist daher deutlich schwieriger. Prekäre Arbeitsverhältnisse werden schneller gekündigt und die Anfälligkeit für Krankheiten ist bei Armutsbetroffenen größer. Daher braucht es bei den politischen Maßnahmen einen besonderen Fokus auf Armutsbekämpfung – die österreichische Armutskonferenz fordert klare Bekenntnisse und Budgetierung in Form eines Schutzschirms für Armutsbetroffene, damit die Krise nicht deutlich mehr Armut produziert.
Solidarische Lebensweise nach der Krise
Das Bewusstsein für die Wichtigkeit des sozialen Zusammenhalts sollte nun gestärkt und in längerfristig haltbare Formen institutionalisiert werden. Nicht die Ellenbogen-Mentalität des „survival of the fittest“, wie sie letzte Woche in Großbritannien politisch propagiert wurde, erwies sich bisher als zielführend im Umgang mit der Krise – vielmehr ist es der nun viel beschworene Geist des Miteinander. Die „system-notwendigen“ Berufe sollten als besondere Leistungsträger aufgewertet werden – auch finanziell.
Es braucht auch neue Formen des Umgangs mit dem „techno-ökonomischen Paradigma“. Er sollte sich in neuen Selbstverständlichkeiten ausdrücken: Technischer und ökonomischer Fortschritt sollten mit sozialen und kulturellen Errungenschaften einhergehen. Ein Mehr an Technik sollte nicht dazu führen, Menschen weg zu rationalisieren, sondern Arbeit zu erleichtern und Zeit für soziale Kontakte zu gewinnen. Auch die Logik öffentlicher Güter sollte sich weniger an betriebswirtschaftlichen als an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientieren.
Schließlich gilt es auch, über globale Vernetzung neu nachzudenken. Nach dem wirtschaftlichen „Shut Down“ und dem Schließen der Grenzen wäre es wichtig, nicht so schnell wie möglich in alte Muster zurückzufallen: „Global denken – lokal handeln“ in neue Formen der „Glokalisierung“ zu bringen, die regionale und solidarische Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens stärkt, ohne die Grenzen dicht machen zu müssen; zu lernen, was verzichtbare Formen des Konsums sind und welche Bereiche wirklich wichtig für die Zivilisation sind. Auch wenn vieles durch eine schreckliche Krise erzwungen wird, sollten wir die damit verbundenen Chancen auf positive Innovationen erkennen und nutzen.
Über den Autor
Bernhard Leubolt ist Ökonom und Politikwissenschafter, Mitarbeiter der ksoe, Forschungs- und Grundlagenarbeit zu Demokratie, Sozialstaat, Zukunft der Arbeit, sozio-ökologische Transformation.