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5.3.2020
Management solidarökonomischer Unternehmen
Florentine Maier und Ruth Simsa von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) haben mit dem Band „Management solidarökonomischer Unternehmen. Ein Leitfaden für Demokratie und Nachhaltigkeit“ ein wissenschaftlich fundiertes, praxisnahes Handbuch für solidarisches Wirtschaften vorgelegt. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Rezeption solidarischen Wirtschaftens in den Wirtschaftswissenschaften und unterstützen gleichzeitig AkteurInnen in solidarökonomischen Unternehmen (existierend oder in Gründung), die für die eigene Praxis (dazu)lernen wollen.
Solidarische Ökonomie ist von ihrer Grundidee her mit einer sogenannten „präfigurativen Strategie“ verbunden, schreiben die Autorinnen, d.h. die Gesellschaftsordnung, die man sich im Großen wünscht, soll durch konkrete Schritte im Kleinen vorweggenommen und Schritt für Schritt ausgebaut werden. (S.13) „Solidarökonomischen Unternehmen“ definieren sie wie folgt:
Organisationen, die
- Produkte und/oder Dienstleistungen erstellen
- intern demokratisch organisiert sind und
- Zwei wichtige Ziele verfolgen: Konkrete Bedarfe ihrer Zielgruppe decken und zu einem positiven gesellschaftlichen Wandel beitragen.
Diese Begriffsbestimmung betont die „demokratische Organisation“ solidarökonomischer Unternehmen. Damit sind sie auf einer Linie mit Paul Singer – er war langjähriger Staatssekretär für Solidarische Ökonomie in Brasilien – , der gesagt hat: „Die Essenz solidarischer Ökonomie ist die Demokratie“.
Es ist also nur stringent, wenn sich der vorliegende Band wesentlich mit Fragen der Demokratie in solidar-ökonomischen Unternehmen beschäftigt: demokratische Organisation, Gestaltung demokratischer Meetings, demokratische Entscheidungsformen und Leadership in demokratischen Organisationen. Außerdem erörtern die Autorinnen die Bedeutung des „user value“ für NutzerInnen unterschiedlicher solidar-ökonomischer Unternehmensmodelle, zeigen rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten auf, stellen verschiedene Formen von crowdfunding für solidar-ökonomische Unternehmen vor und befassen sich mit Fragen des Rechnungswesens und Finanzmanagements in solchen Unternehmen.
Exemplarisch sei hier auf die Abschnitte über „Gestaltung demokratischer meetings“ und „Leadership in demokratischen Unternehmen“ eingegangen:
Bemerkenswert ist, dass die Autorinnen der „Gestaltung demokratischer meetings“ zentrale Bedeutung zumessen. Meetings seien der Kern der Organisation, sie stellten die konkreten Räume für Selbstorganisation dar. „Für demokratische und egalitäre Organisationen sind sie daher ein zentrales Instrument“. Als entscheidend für die Gestaltung von Meetings wird deren Moderation genannt. Klingt alles ganz selbstverständlich, doch in der Praxis werden die sorgfältige Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung demokratischer Meetings oftmals vernachlässigt. Ein Kapitel, das konkreter nicht sein könnte und die Bezeichnung Leitfaden verdient.
Im Kapitel „Leadership in demokratischen Unternehmen“ wird u.a. erörtert, wie Spontaneität, Partizipation und egalitäre Strukturen mit Effektivität und Effizienz vereinbart werden können – leadership ohne Hierarchien. Als theoretischen Hintergrund nennen die AutorInnen die „critical leadership studies“, die leadership (im Unterschied zu „Führung“) nicht als das Handeln einzelner Personen interpretieren, sondern als Prozess des gesamten beteiligten Systems. Klassische Führungstheorien beziehen sich stattdessen auf die Person der Führungskraft. „Verteilte leadership“, so wird häufig eingewandt, sein Anfällig für die Herausbildung von informellen Hierarchien. Als Praxisbeispiel, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen werden kann, wird etwa die spanische Protestbewegung 15M angeführt, die zwei wichtige Methoden entwickelt haben: Kollektive Reflexion sowie klare, oft strikte Regeln. Dass jüngere Erfahrungen aus den sozialen Bewegungen einfließen, ist äußerst bereichernd für den Band.
Dieses Handbuch ist gut strukturiert und sowohl für PraktikerInnen als auch für theoretisch Interessierte von Nutzen. Es enthält zahlreiche Fallbeispiele (aus Österreich und international), wendet Forschungserkenntnisse (wie die von Ostrom zum Thema Commons) an und diskutiert Modelle, die u.a aus der Beraterszene kommen (wie Holocracy u.a.) kritisch. Was das Kapitel über den Rechtsformenvergleich anbelangt, ist es v.a. für AkteurInnen in Österreich von Interesse, weil es die entsprechende Gesetzeslage in der Alpenrepublik erklärt.
Der Band zeigt ein breites Spektrum an Möglichkeiten des Managements in solidarökonomischen Betrieben. Maier und Simsa plädieren dafür, sich nicht für die immer neuesten Organisationstrends zu begeistern und raten stattdessen zu selektiver Übernahme von Elementen, die im eigenen Kontext hilfreich erscheinen. Das kann nur unterstrichen werden!
Das Buch hätte nicht zustande kommen können ohne der Expertise und der Vorarbeiten der beiden Autorinnen Florentine Maier und Ruth Simsa. Wesentliche Beiträge haben auch Studierende der WU Wien durch Bachelorarbeiten geleistet. Sie haben als Co-AutorInnen des Buches mitgewirkt.
Über den Autor
Markus Blümel ist Politischer Erwachsenenbildner und Grundlagenarbeiter bei der Katholischen Sozialakademie Österreichs, wo er unter anderem den Lehrgang „Solidarisch Wirtschaften“ leitet und begleitet.