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20.2.2020
Das gemeinsame Ringen um ein gutes Leben für alle geht weiter
Autorin: Anja Appel
Eine Woche ist vergangen seit der Präsentation der Päpstlichen Exhortation „Querida Amazonia“. Eine Woche, die ein Kommentarfeuerwerk hervorgebracht hat, dass es hätte eine Freude sein können, eine Woche, die gezeigt, wie viel die Kirche an Gewicht im öko-sozialen Diskurs, in der globalen Bewegung für Gerechtigkeit hätte einbringen können, wäre das Dokument in sich stimmiger oder etwas anders ausgefallen. *
Vier Träume
Papst Franziskus stellt mit „Querida Amzonia“ das Abschlussdokument der Synode „offiziell vor“, zitiert es aber nicht, sondern bietet vier Träumen als Reflexionsrahmen für das Abschlussdokument an. Unweigerlich denkt man da an das geflügelte Wort vom brasilianischen Erzbischof und Befreiungstheologen Hélder Câmara: „Wenn einer allein träumt ist es nur ein Traum. Wenn Menschen gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“ Die skizzierten Träume sind klare, poetisch eingebettete Fortsetzungen der Synodenergebnisse und der zuvor veröffentlichten Dokumente. Im ersten, dem sozialen Traum schreibt Papst Franziskus bspw. von Ungerechtigkeiten und Verbrechen, die wir benennen, gegen die wir uns empören und erheben sollen. Er vertieft im zweiten, dem kulturellen Traum u.a. die Bedeutung einer kultursensiblen Bildungsarbeit, die Pflege der kulturellen Wurzeln und der Begegnung auf Augenhöhe. Der dritte, der ökologische Traum schließlich, beschreibt erneut den Reichtum, die Weisheit und den Schrei Amazoniens und wie sehr wir uns verantwortlich sehen müssen, die Vielfalt und das Leben dort zu bewahren.
Die Rolle der Frauen
Ein inhaltlicher und literarischer Bruch, wenn man so will, vollzieht sich dann innerhalb des vierten Traums nach den Ausfaltungen zur Inkulturation, wenn es um die Rolle der Frauen und das Priesteramt geht. Das darin beschriebene Bild hat die Rezeption des Gesamtdokuments dominiert, so sind die Bilder der ersten drei Träume vielfach untergegangen. Denn der Papst bringt darin ein Frauenbild, das bspw. als “nicht zukunftsfähig“ (Prof. Paul Zulehner) oder auch „in ihrer theologischen Qualität durchaus überholbar“ (Prof. Ottmar Fuchs) bezeichnet werden kann. Dies hat zu mehr Irritation und Verärgerung geführt, als die alleinige Nicht-Erwähnung bspw. der Viri Probati oder anderer Optionen hätte auslösen können.
Damit ist jetzt umzugehen und ich biete hier einen Möglichkeit an: Deutlich ist, dem Papst ist das Ökosystem Amazonien und dessen BewohnerInnen ein Anliegen. Klar ist auch, er will den Weg des 2. Vatikanums endlich weitergehen und uns dabei mitnehmen, mit aller Konsequenz, die das hat. Und er nimmt den synodalen Prozess ernst. Das aktuelle Problem ist, dass das Kirchenvolk in vielen Regionen der Welt wieder oder noch allzu ungeübt ist in diesem Herangehen und gerade jetzt, angesichts multipler Krisen in der Erwartung des traditionellen, hierarchischen Weges, dankbar für Klarheit gewesen wäre, auch wenn sie das hierarchische Gefüge erneut fortgesetzt hätte. Andererseits: was bleibt uns als Alternative? Aufhören, gar aufgeben – unsere Schwestern und Brüder in Amazonien im Stich lassen, weil wir demotiviert sind – in der Politik auf die starken Anführer warten, die es richten werden? Das kann ja nicht Ihr/Euer Ernst sein. Um der ganzheitlichen Ökologie, des Engagements unserer Glaubensgeschwister und die Zukunft der Menschheit Willen, kann es nur heißen, da jetzt mitgehen, aber eben anders als gewohnt.
Der synodale Weg: ein Lernprozess
Der Prozess im Zusammenhang mit der Amazoniensynode war eine beispielgebende, stärkende Erfahrung im Hinhören, in Geschwisterlichkeit, im Finden gemeinsamer Lösungen, um dem Schrei Amazoniens zu begegnen. Der Papst hat uns bestärkt, unser Engagement fortzusetzen und zu verstärken und zugleich eingeladen, noch mehr die Ursachen anzugehen, die auch in Strukturen wurzeln. Wir sollten diese Einladung annehmen, uns selbst ermächtigen, unsere Visionen (mit)zuteilen, uns einzulassen auf andere Ideen und zu sehen, wo es uns in der Gemeinschaft hinzieht, was uns anspornt, uns ermutigt, was andere mitreißt, immer ausgerichtet auf das Größere und eingebettet in das Streben nach globaler Gerechtigkeit und Bewahrung des gemeinsamen Hauses. Der synodale Weg ist steinig, aber am Ende wird der Lernprozess, den wir jetzt durchleben, uns stärken und auch hilfreich dabei sein, unsere eigene Gesellschaft zu befähigen, den anstehenden sozialen, politischen Konflikten (die durch den Klimawandel auch bei uns verstärkt werden) friedvoll zu begegnen.
Wenn man Papst Franziskus wörtlich versteht, nimmt er sich in und durch seine Exhortation zurück. Er stellt sich nicht über die Synode oder die Bischöfe, wenn er schreibt: „an der viele Menschen mitgearbeitet haben, die die Problematik Amazoniens besser kennen als ich und die Römische Kurie“ (Nr.3), sondern ermutigt, die Auseinandersetzung um neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie fortzusetzen: „dass sich die Hirten, die gottgeweihten Männer und Frauen und die gläubigen Laien in Amazonien um ihre Umsetzung bemühen und dass diese Arbeit irgendwie alle Menschen guten Willens inspiriert“ (Nr.4). Für manch eineN erscheint das womöglich feige, in der Reihe seiner Äußerungen, schriftlich wie mündlich aber ist es nur konsequent: Der Papst weigert sich, jetzt eine Entscheidung zu treffen, wohlwissend, dass die innerkirchlichen Spannungen damit nicht vom Tisch wären, sondern lediglich angefeuert würden. Aber wenn das so ist, dass der Papst sich selbst vom Sockel holt, dann sind auch seine „Träume“ nur ein zur Verfügung stellen, keine Weisung oder Vorgabe, keine Brille, durch die man das Schlussdokument lesen muss, sondern einfach nur ein „Dazu-stellen“. Also können wir sagen: die ersten drei Träume träumen wir mit und wir laden andere dazu ein, sie mit zu träumen, damit wir viele werden und wir so „eine neue Wirklichkeit“ erschaffen. Den vierten Traum aber, den teilen wir nicht, sondern wir träumen einen anderen Traum: einen der zukunftsfähig ist, einen, der die ersten drei unterstützt, anstatt sie zu torpedieren, einen, den viele, viele mitträumen wollen. Und damit gestalten wir dann den Weg.
* (siehe auch Anja Appels Kommentar unter https://www.feinschwarz.net/motivation-auftrag-und-enttaeuschung-amazonien/)
Über die Autorin
Anja Appel ist Politikwissenschafterin. Von 2007 bis 2018 war sie bei der Katholischen Frauenbewegung Österreichs tätig. Seit März 2018 ist sie Geschäftsführerin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO).