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3.4.2020
Bedingungsloses Grundeinkommen
In der aktuellen globalen Pandemie wird der Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen wieder lauter.
In der Form eines temporären Krisen-Grundeinkommens oder Krisen-Geldes, einer finanziellen Überbrückung für alle – Geldmittel, die in der jetzigen Situation an jeden und jede ausgezahlt werden sollen. Entsprechende Petitionen wurden online gestellt und von zahlreichen Menschen unterstützt. Der Hintergrund ist evident: Sorge und Angst um die Existenz und das Leben. Wie als Selbstständige, KünstlerIn, prekär beschäftigte Person etc. die mit den Pandemie-Maßnahmen verbundenen Folgen überstehen, Einkäufe tätigen, Rechnungen begleichen, die Miete zahlen, usw. Die Forderung erschallt in Ländern mit gut ausgebautem Sozialstaat wie etwa in Österreich oder Deutschland genauso wie in Ländern, die keine solche Tradition aufweisen und die soziale Absicherung von Risiken den Einzelnen in Eigenverantwortung überlassen haben, wie z.B. USA oder Vereinigtes Königreich. Viele denken sich in der jetzigen Situation: es wäre gut, wenn wir das BGE schon hätten.
An dieser Stelle sollen einige Argumente für ein BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) vorgestellt werden, wie sie Magdalena Holztrattner und Margit Appel (in ihrem Beitrag „Relevante Aspekte der Katholischen Soziallehre und die Idee des Grundeinkommens“) sowie Ulrich Schachtschneider (in seinem Beitrag „Grundeinkommen für sozial-ökologische Transformation. Vom Haben müssen zum Sein-Können“) vorbringen. Beide Artikel sind im Band „Zur Freiheit berufen. Christen für ein Grundeinkommen“ (2019) erschienen.
Zu den relevanten Aspekten eines Bedingungslosen Grundeinkommens aus Sicht der Katholischen Soziallehre zählen laut Holztrattner und Appel:
Selbsterhaltungsfähigkeit
Soziale Sicherheit soll das physische Überleben in einer Gesellschaft sichern. Soziale Sicherheit, die am Prinzip der Selbsterhaltungsfähigkeit orientiert ist, geht aber weiter. Sie gibt sich nicht bloß mit dem Überleben zufrieden, sondern zielt auf das Leben ab. D.h. Menschen sollen sich selbst helfen und eigenständige Handlungsoptionen entwickeln können. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde dafür die notwendige Verlässlichkeit herstellen, indem ein die Existenz- und die Teilhabe sichernder finanzieller Betrag der einzelnen Person (individuell, personenbezogen – und nicht dem Haushalt) ausbezahlt würde – ein Leben lang.
Subsidiarität
Subsidiarität wird oft als Eigenverantwortung im Sinne von „hilf´ Dir selbst, sonst hilft Dir keiner“ gedeutet. Im Sinne der Katholischen Soziallehre enthält das Subsidiaritätsprinzip ein Hilfsgebot (das lateinische Wort „subsidium“ bedeutet genau Hilfe bzw. Hilfsleistung) und auch ein Gebot der „Nicht-Einmischung“. Letzteres kann am Beispiel des Wegs der „Aktivierung Arbeitsloser“ genauer betrachtet werden. Eine solche „Aktivierung“ mutet – so die Autorinnen bezugnehmend auf den Wirtschaftsethiker Sebastian Thieme – Erwerbslosen nicht selten ein beträchtliches Ausmaß an Umgestaltung ihres Lebens zu und greift erheblich in ihre Autonomie ein. Solchen Einschränkungen individueller Autonomie könnte mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ein Riegel vorgeschoben werden.
Vorrangige Option für die Armen
Die Gerechtigkeit einer Gesellschaft zeigt sich vorrangig an der Frage, wie ihre von Armut betroffenen Mitglieder ihre Chancen nützen können. Die Nutzung von Chancen eng an Erwerbsarbeit und das damit zu erzielende Einkommen zu knüpfen, verwehrt vielen Menschen die Möglichkeit, sich frei und selbstbestimmt als mündige BürgerInnen in gesellschaftliche Prozesse einzubringen und sich ganzheitlich zu entfalten. Die Auszahlung des Grundeinkommens in existenz- und Teilhabesichernder Höhe – und zwar bedingungslos – würde einen solchen Raum der Freiheit, der sozialen Sicherheit und der Entfaltungsmöglichkeiten aufmachen. Niemand wäre mehr darauf angewiesen, aus Not jeden Job um jeden Preis annehmen zu müssen, um das Leben zu fristen.
Würde und Freiheit
Isolde Charim (2017) analyisert, dass bei den üblichen Einwänden gegen ein BGE meist die Auseinandersetzung mit dessen Freiheits- und Gerechtigkeitsversprechen unterbleibe. Bereits Büchele und Wohlgenannt (1985) haben genau dieses Anliegen adressiert, wenn sie schreiben: „In gesellschaftlichen Verhältnissen, die Ungerechtigkeit, Elend und Not produzieren, genügt es nicht, durch Caritas diese Not zu lindern, es kommt darauf an, durch gerechte Gesetze dem Unrecht und dem Elend vorzubeugen, sie strukturell zu verhüten. Der Grund der Gerechtigkeit ist die Anerkennung der Würde des Menschen und seiner Freiheit.“ Bezugnehmend auf Appel und Blümel (2016) geht es um eine „strukturelle Verhütung“. Verhütet werden soll eine Arbeitsmarktpolitik, eine Sozialstaats-, Gleichstellungs- und Wirtschaftspolitik, die den „Grund der Gerechtigkeit“- eben die Anerkennung der Würde des Menschen und seiner Freiheit – zu wenig achtet, übersieht oder einen solchen Anspruch von vornherein nicht anerkennt.
Ulrich Schachtschneider befasst sich im seinem Artikel mit der Bedeutung eines Bedingungslosen Grundeinkommens für eine sozial-ökologische Transformation und liefert einige wichtige Anregungen, wie eine Gesellschaft nach der Pandemie gestaltet werden könnte.
Grundeinkommen und Produktivismus
„Wie viele längst als ökologisch schädlich, sozial zweifelhaft oder die individuelle Entfaltung behindernd erkannte Produktionen oder Dienstleistungen werden heute nolens volens akzeptiert, wenn nicht sogar gefördert, weil daran in der kapitaldominierten Ökonomie elementar die ökonomische persönliche Existenz gekoppelt ist?“ fragt Schachtschneider.
Schachtschneiders Frage weitergesponnen, könnte sich gerade jetzt jeder und jede zumindest die Frage erlauben: Welche Produktionen und Dienstleistungen sollen denn mit Ende der Pandemie-Maßnahmen wieder hochgefahren werden bzw. wieder anlaufen?
Mit einem BGE im Rücken könnte in der kommenden Gesellschaft Nein-gesagt werden zu sozial problematischen und klimaschädigenden Aktivitäten. „Die Menschen werden dann tendenziell nur noch an denjenigen ökonomischen Tätigkeiten teilnehmen (wollen), die aus ihrer Sicht Sinn machen – in ökologischer, sozialer und selbstverwirklichender Hinsicht“.
Grundeinkommen und Konsumismus
Die kulturelle Orientierung am „immer mehr“ war (zumindest bis zur Pandemie) ungebrochen, obwohl diese Beschleunigung in den letzten Jahren auch in die Kritik gekommen ist und ein ressourcenschonender Lebensstil immer mehr zum Thema wurde. Das „Immer Mehr“ besteht laut Schachtschneider im Übrigen in einem „immer Mehr vom Neuen“. Dieses ist zumindest in diesen Wochen (ggf. auch Monaten) nicht zu haben, könnte man anmerken. Eine Lernerfahrung, die in der Zeit nach der Pandemie auf Änderungen hoffen lässt? Schachtschneider sieht das BGE mit seiner „ökonomischen Basissicherheit“ hier als Möglichkeit: „Die Fallhöhe beim Scheitern oder Nicht-Gefallen wäre nicht so groß wie heute, wo die Aufgabe eines Jobs den Anfang eines langen Abstiegs bedeuten kann.“ Mit Erich Fromm argumentiert Schachtschneider, dass ein solches Grundeinkommen die sozialpsychologischen Voraussetzungen für ein Gefühl der Fülle und damit für eine de-konsumistische Einstellung schaffen könnte.
Dazu ist auch folgender Zusammenhang, auf den Schachtschneider hinweist, von Interesse: Das Zufriedenheitsgefühl des Einzelnen hängt ebenso von der Stellung innerhalb der Hierarchie einer Gesellschaft ab beziehungsweise von deren Hierarchieförmigkeit. Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto weniger kann sich ein Gefühl der Fülle einstellen. Die eigenen Bedürfnisse werden mit dem Blick auf die „Nachbarn“ definiert. Nach einer Untersuchung von Hemenway und Solnick (2015) würde die Hälfte der Befragten sogar auf fünfzig Prozent ihres Einkommens verzichten, wenn sie dafür mit anderen statusmäßig gleichgestellt wären. Schachtschneider: „Es ist nicht nur die moderne Kultur der Verheißung maximaler Lebensausfüllung, die die Menschen nach möglichst viel Konsum von Gütern und Erlebnissen streben lässt, sondern auch die Ungleichheit und Herrschaftsförmigkeit einer Gesellschaft. Daraus folgt: Soll das Weniger-Konsumieren nicht nur für besondere Milieus attraktiv sein, muss die Gesellschaft weniger herrschaftsförmig werden.“
Ein Fenster scheint im Moment aufgestoßen zu sein für den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens. Soll das BGE zur Richtungsforderung erhoben werden, so müssen sein Freiheits- und Gerechtigkeitsversprechen ins Spiel gebracht werden. Auch wenn es derzeit naheliegt, ein BGE aus der Notsituation heraus zu begründen, so ist es wichtig, die Chancen eines BGE für die Befreiung von Menschen aus ungerechten sozialen und ökonomischen Strukturen in den Blick zu nehmen und das BGE als „Teil der Lösung“ – mit Perspektive auf ein gutes Leben für ALLE – zu diskutieren.
Über den Autor
Markus Blümel ist Politischer Erwachsenenbildner und Grundlagenarbeiter bei der Katholischen Sozialakademie Österreichs, wo er unter anderem den Lehrgang „Solidarisch Wirtschaften“ leitet und begleitet.