|
22.10.2024
Demokratie braucht keinen Volkskanzler
(Rechts-)Populistische Kommunikation und ihre Gefahr für die Demokratie
Autor: Johannes Webhofer
Der Ruf nach einem starken Führer, der die vermeintlichen Schwächen demokratischer Systeme durch entschlossenes Handeln überwindet, ist in politischen Krisenzeiten besonders verlockend. Die Idee eines "Volkskanzlers", der den Willen der Bürger:innen direkt verkörpert und institutionelle Hürden umgeht, erscheint manchen als Lösung für angebliche politische Stagnation oder Vertrauensverlust in die etablierten politischen Parteien. Doch dieser Ruf nach einer zentralen Figur, die über den bestehenden demokratischen Strukturen steht, widerspricht nicht nur den Grundprinzipien der Demokratie, er steht sinnbildlich für eine populistische Rhetorik, die sachliche politische Debatten zunehmend erschwert.
Populistische Kommunikation gewinnt in Europa und vor allem in Österreich immer mehr an Bedeutung. Um die Tragweite dieses Phänomens zu verstehen, ist es zunächst wichtig, die fundamentale Rolle der politischen Öffentlichkeit in modernen Demokratien zu beachten.
Moderne Demokratien sind ohne die politische Öffentlichkeit nicht vorstellbar. Sie ist jener Ort, in dem Politik diskutiert wird, politische Konzepte und Positionen präsentiert werden und der es den Bürger:innen ermöglicht, Politik zu beobachten. Das Beobachten ist vor allem dann essenziell, wenn Bürger:innen vor der Entscheidung stehen, politische Repräsentant:innen zu wählen. Damit Wahlen nicht zum Zufallsprodukt werden, müssen die Wähler:innen zumindest grundlegende Informationen über die Programme und Positionen der Parteien besitzen, die sie wiederum vorwiegend in der politischen Öffentlichkeit erwerben können.
In den vergangenen Jahren hat sich die Debatte über Populismus und populistische Kommunikation merklich intensiviert. Während die Wissenschaft diese Phänomene differenziert betrachtet, greifen Massenmedien und politische Parteien häufig auf diese Begriffe zurück, ohne deren Bedeutung präzise zu definieren. Bemerkenswert ist, dass der Terminus "Populismus" inzwischen eine nahezu identitätsstiftende Funktion einnimmt und von populistischen Parteien kaum noch als Zuschreibung hinterfragt oder abgelehnt wird. Diese inflationäre Verwendung führt somit paradoxerweise zu einer Verharmlosung des Phänomens und verschleiert die damit verbundenen Risiken für demokratische Systeme.
Auch wenn im wissenschaftlichen Diskurs unterschiedliche Definitionen von Populismus existieren, so finden sich zwei Kernelemente in nahezu allen Begriffsbestimmungen wieder: Das Volk und die Elite. So meint der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde, dass es sich bei Populismus um eine "dünne" Ideologie handle, die die Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen unterteilt: das "reine Volk" und die "korrupte Elite", wobei Politik als Ausdruck des allgemeinen "Volkswillens" (volonté générale) verstanden wird (vgl. Mudde 2004). Die Bezeichnung „dünn“ meint in diesem Zusammenhang, dass Populismus mit allen etablierten politischen Ideologien kompatibel ist.
Besondere Aufmerksamkeit erfährt derzeit der sogenannte Rechtspopulismus, der sich nicht nur europaweit zunehmend ausbreitet. Ein wesentliches Merkmal dieser Strömung ist die bewusste Exklusion bestimmter Gruppen aus dem Konzept des „reinen Volkes“ (vgl. Wodak 2015). Diese Ausgrenzung betrifft meist ethnische oder religiöse Minderheiten sowie politische Gegner:innen, die als nicht dem "Volkswillen" entsprechend angesehen werden. Der Volkswille wird in dieser Diktion als Willensbekundung verstanden, die der gesamten Bevölkerung, ausgenommen der vorher genannten Gruppen, zugeschrieben wird. Es wird suggeriert, dass die jeweilige Partei nicht nur die Interessen aller Bürger:innen versteht und vertritt, sondern auch, dass viele politische Probleme ohne bestimmte Bevölkerungsgruppen erst gar nicht existieren würden.
Herausforderungen, etwa in den Bereichen Bildung, Sicherheit und Gesundheit, würden sich quasi von selbst lösen, und auch Arbeitsplätze, Wohnungen und Parkplätze wären plötzlich ausreichend vorhanden. Cas Mudde spricht dabei von „Nativismus“, einer Ideologie, die davon ausgeht, dass Staaten ausschließlich von „Einheimischen“ bewohnt werden sollten und dass nicht-einheimische Elemente (Personen und Ideen) eine essentielle Bedrohung für den scheinbar homogenen Nationalstaat darstellen (Mudde 2007).
Dies entspricht jedoch nicht den tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten: Unsere Gesellschaft ist vielfältig und von unterschiedlichen Interessen geprägt, die je nach Thema variieren. Die Behauptung, alleiniger Vertreter des Volkes zu sein, ist daher eine Anmaßung, die fundamentalen demokratischen Prinzipien widerspricht. Eine Partei, die eine solche Position vertritt, diskreditiert automatisch alle abweichenden Standpunkte als vermeintlichen Verrat am Volk. Stellen wir uns die Konsequenzen für die Zusammenarbeit vor, wenn in Gemeinden, Pfarrgemeinden oder Vereinen jede andere Meinung reflexartig als Verrat gedeutet oder für jedes Problem eine Gruppe verantwortlich gemacht würde. Es läge schnell nahe, die jeweiligen Personen oder Gruppen einfach auszuschließen, um die Probleme zu lösen.
Populistische Kommunikation verlagert die Diskussion über politische Themen auf eine vereinfachende und polarisierende Rhetorik und nutzt emotionale Appelle, um komplexe politische Themen auf einfache Gegensätze zu reduzieren. Beispiele dafür finden sich in fast allen Parteien, wobei die FPÖ durch ihre rechtspopulistische Strategie hervortritt. Sie setzt auf das zentrale Element der "Politik mit der Angst" (Wodak 2015), indem sie die vermeintliche Bedrohung durch Migrant:innen und den Verlust nationaler Identität hervorhebt. Gleichzeitig stilisiert sie sich als Gegnerin einer vermeintlich korrupten Elite, obwohl sie selbst Teil dieser Elite ist und in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt war. Sie diskreditiert Menschen und gesellschaftliche Gruppen, die nicht ihr Weltbild und ihre politischen Positionen teilen. So werden politische Mitstreiter:innen schon mal als "geistige Einzeller", "Klima-Terroristen" oder "Mumie in der Hofburg" beschimpft, während Ausländer:innen Diffamierungen wie „Sozialschmarotzer“ bis hin zu "Erd- und Höhlenmenschen" über sich ergehen lassen müssen.
Diese Art der Kommunikation stellt eine ernsthafte Gefahr für die politische Öffentlichkeit dar. Sie untergräbt den differenzierten Diskurs, der für eine fundierte politische Meinungsbildung notwendig ist. Stattdessen fördert sie eine Schwarz-Weiß-Sicht auf politische Themen, die der Komplexität moderner Gesellschaften nicht gerecht wird, und stellt jene Gruppen an den Pranger, die sich selbst oft nur schwer verteidigen können: Ausländer:innen, Muslim:innen, NGOs, Wissenschaftler:innen bis hin zu einzelnen Journalist:innen. Diese Rhetorik ermutigt leider auch Teile der Bevölkerung, sich feindlich gegenüber diesen Menschen zu äußern. Solche Verhaltensweisen manifestieren sich nicht nur in Form von rassistischen Vorfällen im öffentlichen Raum, sondern besonders deutlich in der oft ungefilterten Kommunikation in den sozialen Medien.
Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen, dem Ausgleich der Interessen und der Gewaltenteilung bzw. -kontrolle – nicht von der Machtkonzentration in den Händen eines/r Einzelnen. Eine funktionierende Demokratie braucht daher keinen "Volkskanzler", sondern starke Institutionen, Transparenz und eine lebendige politische Debattenkultur, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist und an der alle Bürger:innen teilnehmen können. Der in der Österreichischen Bundesverfassung verankerte Titel "Bundeskanzler" umfasst – im Unterschied zu "Volkskanzler" – die politische Verantwortung für alle in Österreich lebenden Personen, ohne Ausnahme oder Ausgrenzung bestimmter Gruppen.
Um den gefährlichen Folgen populistischer Kommunikation zu begegnen, ist es wichtig, die Medienkompetenz der Bürger:innen zu stärken und einen kritischen Umgang mit politischen Botschaften zu fördern. Gleichzeitig müssen Politiker:innen und Medien ihrer Verantwortung gerecht werden, indem sie sich klar von populistischen Strategien abwenden und ehrlichen, faktenbasierten politischen Austausch pflegen.
Die Auseinandersetzung mit populistischer Kommunikation bleibt eine zentrale Aufgabe für unsere Gesellschaft. Nur durch ein tieferes Verständnis dieses Phänomens und seiner Auswirkungen können wir die Grundlagen unserer liberalen Demokratie bewahren und weiterentwickeln.
Quellen:
Cas Mudde (2004): The Populist Zeitgeist. Government and Opposition, 39(4), 541-563. Download: https://works.bepress.com/cas_mudde/6/
Cas Mudde (2007): Populist Radical Right Parties in Europe. Cambridge.
Ruth Wodak (2015): The Politics of Fear: What Right-Wing Populist Discourses Mean. SAGE Publications.
Zum Autor: Johannes Webhofer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der ksœ