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Bild: Europa und der Stier – KI generiert, 23.04.2024
Europa – What else?
„Europa erlangte Berühmtheit, weil Jupiter sie liebte, und sie verlieh einem Drittel der Erde ihren Namen“. (Christine de Pizan: Stadt der Frauen)
Autor: Johannes Webhofer, ksœ
Europa ist nicht bloß ein Kontinent, dessen Grenzen sowohl geographisch als auch kulturell nicht klar zu ziehen sind und daher immer eine Frage der Interpretation und gesellschaftlichen Übereinkunft bleiben. Durch die Gründung der Europäischen Union hat sich dieser Kontinent größtenteils auch zu einem gemeinsamen politischen Raum entwickelt. Die Grenzen dieses Raumes sind ebenfalls nicht unabänderlich, wie jüngst der EU-Austritt Großbritanniens deutlich machte.
Der Begriff 'Europäische Integration' verweist auf den "immer engeren Zusammenschluss der Völker Europas"[1]. Dabei ist es wichtig, den ursprünglichen Gründungsgedanken des europäischen Einigungsprozesses nicht aus den Augen zu verlieren: die Schaffung eines dauerhaft friedlichen Zusammenlebens der Staaten und Völker auf dem europäischen Kontinent. Mit anderen Worten könnte man sagen, dass die Europäische Union eine fortwährende und grenzenlose Vision verkörpert, die darauf abzielt, das Leben der Menschen zu verbessern und zu schützen. Die Europäische Grundrechtecharta stellt eine der bedeutendsten Verankerungen von Menschenrechten dar. Ihre Präambel beginnt folgendermaßen:
„Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden. In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet.“
Anfang Juni stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament bevor. Der Wahltermin in Österreich ist für den 9. Juni angesetzt. Insgesamt werden aus den 27 Mitgliedstaaten 705 Abgeordnete gewählt. Österreich verfügt über 19 Sitze. Das Europäische Parlament ist eines der wichtigsten Organe der Europäischen Union. Es trifft gemeinsam mit dem Rat der EU[2] eine Vielzahl von Entscheidungen über EU-Rechtsakte, genehmigt das EU-Budget und besitzt bedeutende politische Kontrollbefugnisse.
Europäische Politik und - damit zusammenhängend –, die Tätigkeiten des EU-Parlaments scheinen auf dem ersten Blick etwas komplex zu sein. Beginnt man sich jedoch mit EU-Politik zu beschäftigen, eröffnet sich einem eine faszinierende und erstaunlich demokratische Welt. Es ist keine perfekte Welt aber man sollte es bei aller Kritik auch nicht verabsäumen, die Errungenschaften zu benennen. So wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung von Transparenz und politischer Beteiligung ergriffen. Dazu zählen unter anderem die Einführung von Bürgerinitiativen sowie die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments. Letzteres umfasst die Wahl des/der Kommissionspräsident:in die Ausweitung von Mitentscheidungsbefugnissen in vielen Gesetzgebungsverfahren, die Haushaltsbefugnisse und die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zur Untersuchung möglicher Verstöße gegen EU-Recht oder Fehlverhalten in EU-Institutionen.[3]
Erstaunlich ist auch das Informationsangebot, das die unterschiedlichen EU-Institutionen online verfügbar machen. Hier eine kurze Liste dazu:
- Themen des Europäischen Parlaments
- Abstimmungsmonitor der Österreichischen EUAbgeordneten (ÖGFE)
- Europäische Bürgerinitiative
- Die Prioritäten der Europäischen Kommission
- Politikbereiche des Rates der Europäischen Union
- Multimedia Centre des Europäischen Parlaments
- Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments in Wien
Trotz der Bemühungen, Europa demokratischer und transparenter zu gestalten, bleibt ein gewisser Beigeschmack bestehen, der sich besonders während des EU-Wahlkampfs verstärkt: So sind es einerseits die europafreundlichen Parteien und Politiker:innen, die mit viel Euphorie Europa beleben oder retten wollen, und andererseits sind es euroskeptische und rechtspopulistische Parteien, die mit Austrittsgedanken und ‚Zurück zum Nationalstaat‘ werben. Dies führt häufig zu oberflächlichen und emotionalen Debatten, in denen die eigentlichen drängenden politischen Fragen vernachlässigt werden. Statt über Themen wie europäischer Umwelt- und Klimapolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, Forschung oder Sozialpolitik zu sprechen, dreht sich der Diskurs im Wahlkampf überwiegend um 'für' oder 'gegen' bzw. 'mehr' oder 'weniger' Europa. Überträgt man diese Debatte auf nationale Wahlkämpfe in Österreich, käme es darauf hinaus, dass politische Parteien ständig die Legitimität, Sinnhaftigkeit oder Kompetenzen des Nationalrats, der Landtage, des Amtes des/der Bundespräsident:in usw. in Frage stellen würden, obwohl sie sich gleichzeitig um deren Besetzung bewerben.
Die Gründe für diese Pro&Contra-Europa-Diskussionen sind vielfältig. Zunächst ist anzumerken, dass bei den EU-Wahlen weiterhin nationale Parteien antreten, die primär nationale Politikthemen adressieren. Die politische Auseinandersetzung konzentriert sich dann vorrangig auf die Dynamik zwischen nationaler Regierung und Opposition. Das Fehlen einer traditionellen Regierungs- und Oppositionspolitik auf europäischer Ebene könnte daher durchaus als demokratisches Defizit betrachtet werden. Die europäische Politik und ihre institutionellen Strukturen sind stark von Kompromissen und Konsens geprägt. Folglich kann politische Unzufriedenheit nur schwer auf eine europäische Regierungspartei oder ihr politisches Programm zurückgeführt werden, sondern drückt sich vorzugsweise im Kontext der europäischen Integrationsfrage als Grundsatzdiskussion aus. Angesichts dieser Situation ist es für populistische und extremistische Parteien nicht sonderlich schwer, eine große Wählerschaft anzusprechen, indem sie Europa ablehnen, ohne sich konkret zu einem politischen Programm bekennen oder es verteidigen zu müssen. Die Antwort lautet dann meist simpel und universell, die Europäische Union soll über weniger Macht verfügen und politische Kompetenzen an die Nationalstaaten wieder abgeben.
Um die zu Beginn erwähnten Visionen Europas lebendig zu halten, ist es entscheidend, einen Wettstreit der politischen Ideen und Programme zu forcieren. Es bedarf europäischer politischer Diskurse zu europäischen Themen, die in einer europäischen politischen Öffentlichkeit stattfinden. Eine solche Öffentlichkeit muss angesichts der Vielfalt von Sprachen, Medien und Kulturen anders gedacht werden. Schon jetzt ist erkennbar, dass das Internet als bedeutender Raum für transnationale Kommunikation fungiert. Ein Wettbewerb zwischen europäischen Regierungs- und Oppositionsparteien könnte darüber hinaus wesentlich dazu beitragen, das Interesse nationaler Medien für europäische Themen zu entfachen und somit die Förderung europaweiter politischer Diskurse zu unterstützen.
Letztlich liegt es aber auch an den gegenwärtigen politischen Parteien, nicht fortwährend das Grundgerüst der Europäischen Union zu untergraben, sondern sich vielmehr in Wahlkämpfen thematisch und sachpolitisch zu bewähren.
Die Europäische Union ist eine Vision, die über ein rein politisches System zur Lösung nationaler und globaler Probleme hinausgeht. Sie verkörpert ein unermüdliches Streben nach Frieden und einem menschenwürdigen Zusammenleben. Daher ergeht auch hier der Aufruf, aktiv an der Gestaltung Europas mitzuwirken und sich an den Europawahlen zu beteiligen.
[2] Der Rat der Europäischen Union wird häufig auch als EU-Staatenrat bezeichnet und setzt sich aus den Minister:innen der EU-Mitgliedsstaaten zusammen.
[3] Siehe dazu Das Europäische Parlament: Befugnisse
Zum Autor: Johannes Webhofer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der ksœ