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08.02.2018
Geschlechtergerechte Arbeitszeiten – für Menschen mit Betreuungsaufgaben
Autor: Ingrid Mairhuber
Eine geschlechtergerechte Verteilung von Erwerbsarbeit setzt neben einer Umverteilung der bezahlten Arbeit auch eine Berücksichtigung und Neuverteilung der unbezahlten Versorgungsarbeit voraus.
Drei Viertel der Frauen mit Kindern reduzieren ihre Erwerbsarbeit
Derzeit ist die Erwerbsarbeit in Österreich sehr ungleich zwischen Frauen und Männern verteilt, vor allem, wenn Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen sind. Frauen mit Betreuungsaufgaben unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit oder schränken ihre Arbeitszeiten ein, auf die Erwerbsarbeit der Männer habe diese kaum Auswirkungen. Besonders augenscheinlich wird die ungleiche Verteilung zwischen Frauen und Männern, wenn die Erwerbs- und Teilzeitquoten der 25- bis 49-Jährigen mit und ohne Kinder (unter 15 Jahren) betrachtet werden: 2016 betrug die Erwerbsquote von Frauen ohne Kinder bereits 89,2%, die der Männer ohne Kinder 90,6%. Damit sind Frauen und Männer im Haupterwerbsalter ohne Kinder nahezu gleichermaßen am Arbeitsmarkt vertreten. Werfen wir jedoch einen Blick auf die Arbeitszeiten relativiert sich das Bild drastisch, denn die Teilzeitquote der 25- bis 49-jährigen Frauen mit Kindern betrug 2016 bereits 75,1% (!), die der Männer nur 6,9%.
Vollzeitbeschäftigte arbeiten in Österreich sehr lange
Gleichzeitig sind die Arbeitszeiten von vollzeitbeschäftigten Frauen und Männern in Österreich im internationalen Vergleich sehr hoch. 2016 betrug die durchschnittliche wöchentliche Normalarbeitszeit (inklusive Überstunden) für vollzeitbeschäftigte Frauen in Österreich 41,6 Stunden und für Männer 43,5 Stunden und dies, obwohl seit 2005 ein kontinuierliches Sinken der Vollzeitstunden beobachtbar ist. Zudem werden nicht alle geleisteten Überstunden bezahlt oder durch einen entsprechenden Zeitausgleich abgegolten. Dies trifft wiederum mehr Frauen als Männer. Lange wöchentliche Arbeitszeiten und Überstunden machen eine „Vereinbarkeit“[i] von Erwerbstätigkeit und Betreuungsaufgaben für Vollzeitbeschäftigte aber sehr schwierig. Daher stellt Teilzeitarbeit eine individuelle Strategie der „Vereinbarkeit“ von Frauen dar. Sie nehmen dafür negative Folgen sowohl für das Erwerbseinkommen als auch die soziale Sicherheit, etwa bei Arbeitslosigkeit oder auch im Alter in Kauf.
Väter übernehmen nur einen sehr kleinen Teil des Anspruches auf Kinderbetreuungsgeld
Frauen mit Betreuungspflichten reduzieren aber nicht nur ihre Arbeitszeit, sondern unterbrechen auch ihre Erwerbstätigkeit. Auch hier bestehen große Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Auf Basis der Monatsstatistik bezogen im April 2017 mehr als 120.900 Frauen, aber nur 5.390 Männer Kinderbetreuungsgeld.[ii] Damit betrug die Väterbeteiligung am Kinderbetreuungsgeldbezug nur 4,3%. Dies rührt vor allem daher, dass Väter nur einen sehr geringen Teil, sprich wenige Monate des Kinderbetreuungsgelds in Anspruch nehmen, Frauen hingegen ein bis zwei Jahre und somit in der Monatsstatistik nur für eine kurze Zeit aufscheinen. Auf Basis der Fallstatistik – hier wird jeder Kinderbetreuungsgeld-Fall dahingehen untersucht, ob sich der Vater daran beteiligt hat – betrug der Väteranteil am Kinderbetreuungsgeldbezug insgesamt immerhin 19,4%.
Die Elternkarenz reduziert das Erwerbseinkommen der Mütter nachhaltig
Aber nicht nur Teilzeitbeschäftigung wirkt sich in Form von Teilzeiteinkommen und geringen Sozialleistungen negativ auf das Lebenseinkommen der Frauen aus, sondern auch Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kinderbetreuung. Laut dem Wiedereinstiegsmonitoring der AK Wien hatte die Hälfte der Frauen mit Geburten im Jahr 2010 vor der Geburt ein Erwerbseinkommen von Euro 2.000,- brutto. Fünf Jahr danach erreichen nur mehr 31% dieses Einkommen. Für Männer sind dagegen keine Einkommensverluste feststellbar. Dies hängt wohl auch mit den kurzen Erwerbsunterbrechungen von Männern zusammen.
Arbeitszeiten von Vätern: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Eine von FORBA durchgeführte qualitative Studie[iii] bestätigt, dass Elternkarenz und (Eltern-)Teilzeit vor allem individuelle Vereinbarkeitsstrategien von Frauen darstellen, obwohl diese nach wie vor mit (zum Teil) massiven Nachteilen verbunden sind: Einkommenseinbußen, Arbeitsplatzverlust, Wiedereinstiegsprobleme, eingeschränkte berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, mangelhafte soziale Absicherung. Für Männer gilt dies grundsätzlich auch, daher nehmen sie sowohl Elternkarenz als auch (Eltern-)Teilzeit viel weniger in Anspruch. Dies bedeutet, dass Väter – auch entgegen ihrer eignen Bedürfnisse – nicht den entsprechenden Anteil an der Kinderbetreuung übernehmen. Die Interviews der qualitativen Studie zeigen zudem, dass für Väter (Eltern-)Teilzeit nicht immer wünschenswert oder realisierbar ist. Es geht vielmehr darum, mit der Vaterschaft jene Arbeitszeit zu reduzieren, die über eine Vollzeitbeschäftigung hinausgeht. Eine Erhöhung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden, wie sie von der Regierung derzeit geplant ist, steht somit in Widerspruch zu den Arbeitszeitwünschen von Vätern.
Angehörigenpflege schränkt vor allem die Frauenerwerbstätigkeit ein
Rund 80% der Betreuungs- und Pflegearbeit für behinderte oder ältere Personen erfolgt in Österreich durch Angehörige. 70 bis 80% dieser familiären Betreuungs- und Pflegearbeit wird von Frauen geleistet. Obwohl Angehörigenpflege meist in einem höheren Alter stattfindet, betreuen rund 436.000 Personen im erwerbsfähigen Alter hilfebedürftige Angehörige. 46% dieser gehen einer Vollzeitbeschäftigung nach (Frauenanteil: 45%), 20% sind Teilzeit beschäftigt (Frauenanteil: 90%) und 33% ohne Beschäftigung (Frauenanteil: 70%)[iv]. Auch hier zeigt sich, dass Frauen durch die Angehörigenpflege viel stärker als Männer in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt sind.
„Vereinbarkeit“ von Erwerbsarbeit und Angehörigenpflege: Gelebte Wirklichkeit trotz unzureichender Rahmenbedingungen
Im Unterschied zur Kinderbetreuung unterbrechen im Falle der Angehörigenpflege viel weniger Frauen ihrer Erwerbstätigkeit. Da diese meist älter sind, besteht hier die Angst, gar nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückkehren zu können. Eine von FORBA durchgeführte qualitative Studie[v] zeigt, dass trotz zum Teil extrem schwieriger „Vereinbarkeitssituationen“ die Erwerbstätigkeit für pflegende Angehörige sehr wichtig ist. Erwerbsarbeit ist neben der Belastung nämlich auch Quelle der Anerkennung, stellt einen Ausgleich für belastende Pflegesituationen dar, ist oftmals wichtig für das Setzen von Grenzen und ist in der Regel auch eine finanzielle Notwendigkeit.
Die österreichische Pflegevorsorge ist, aber nur sehr unzureichend auf eine „Vereinbarkeit“ von Erwerbsarbeit und Angehörigenpflege ausgerichtet. Eine der wenigen Maßnahmen, die explizit darauf abzielt, wurde 2014 eingeführt. Die bezahlte Pflegekarenz/-teilzeit dient laut Gesetzgeber zur Organisation der Betreuung und Pflege für unselbständig Erwerbstätige und Arbeitslose. Abgesehen davon, dass bisher nur sehr wenige Menschen Pflegekarenz/-teilzeit in Anspruch genommen haben, wird sie in der Praxis weniger für die Organisation der Betreuung und Pflege, sondern vor allem für die Zeit intensiver Pflege verwendet.[vi] Dies liegt auch daran, dass es an Alternativen zur Angehörigenpflege, wie etwa leistbare und qualitativ hochwertige teilstationäre und mobile Dienstleistungsangebote fehlt.
Handlungsempfehlungen – was tut not?
Für eine geschlechtergerechte Verteilung der bezahlten Arbeitszeiten ist eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung (mit Lohnausgleich) auf zumindest 30 Stunden pro Woche notwendig, denn Menschen mit Betreuungsaufgaben sollten nicht der schützenswerte Sonderfall, sondern die Norm des Wirtschaftens sein. Die Arbeitszeitgestaltung sollte sich daher grundsätzlich an Menschen mit Betreuungspflichten orientieren. Erst dann kann vereinbart werden, was unter derzeitigen Voraussetzungen strukturell gar nicht bzw. nur auf individueller Ebene und zu Lasten der Frauen möglich ist.
Zudem ist eine partnerschaftliche Aufteilung der unbezahlten Betreuungsaufgaben erforderlich. Bezogen auf die Kinderbetreuung sollten Väter in ihrem Wunsch sich mehr daran zu beteiligen, unterstützt werden. Maßnahmen in diesem Sinne wären: Für Väter reservierte Ansprüche auf Elternkarenz (bisher trifft dies nur auf das Kinderbetreuungsgeld zu); arbeitsorganisatorische Maßnahmen auf betrieblicher Ebene[vii]; Ausgleichszahlung für Elternteilzeit (mit Stundenuntergrenze) und Anrechnung in der Pensionsversicherung (analog zur Pflegeteilzeit); Begrenzung der tatsächlichen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten und Schutz vor Überstunden.
Für eine „Vereinbarkeit“ und damit partnerschaftliche Teilung von Erwerbsarbeit und Angehörigenpflege sollte u.a. ein Rechtsanspruch auf Pflegekarenz/-teilzeit eingeführt sowie die Anspruchsdauer (vor allem bei der Pflegeteilzeit) erhöht und eine flexiblere Gestaltung ermöglicht werden.[viii]
Insgesamt ist ein Ausbau von qualitativ hochwertigen und gleichzeitig leistbaren Kinderbetreuungseinrichtungen aber vor allem auch von teilstationären sowie mobilen Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen unabdingbare Voraussetzung für eine tatsächliche Vereinbarkeit und eine geschlechtergerechte Gestaltung der Arbeitszeit.
Der Beitrag basiert auf einer Keynote, die Ingrid Mairhuber bei der Enquete „Zeitsouverän oder flexibel? Solidarische Arbeitszeitpolitik und der freie Sonntag“ – einer gemeinsamen Veranstaltung der Allianz für den freien Sonntag Österreich und dem Sozialministerium – am 7.11.2017 in Wien gehalten hat.
Über die Autorin
Ingrid Mairhuber ist Politikwissenschafterin und Senior Researcher bei FORBA, Forschungsschwerpunkte: Geschlechtsspezifische Analysen von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; Übergänge im Lebenserwerbsverlauf – insbesondere am Ende des Erwerbslebens, Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung sowie Angehörigenpflege. (mairhuber(at)forba.at)