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27.6.2023
Wie die 4-Tage-Woche in einem Elektrobetrieb zur Realität wurde
Autoren: Henning Klingen, Markus Schlagnitweit, Juliane Fink
Interview mit Christian Ebner, Geschäftsführer von Elektro Kagerer
Im Kontext der Frage nach „guter Arbeit” standen zuletzt häufig Arbeitszeitverkürzung und die 4-Tage-Woche im Zentrum öffentlicher Debatten – oft in sich unversöhnlich gegenüberstehenden Positionierungen: Hier die ArbeitnehmerInnenvertretungen, die für die 4-Tage-Woche eintreten, dort Arbeitgeberverbände, die deren Unrealisierbarkeit feststellen. ksœ-Direktor Markus Schlagnitweit und Henning Klingen haben deshalb mit Christian Ebner, Geschäftsführer des Elektrobetriebs Kagerer in Pasching/OÖ., gesprochen. Dieser hat vor einem Jahr gemeinsam mit seinen MitarbeiterInnen die 4-Tage-Woche eingeführt und erzählt aus der Praxis seines mittelständigen Betriebs. Er zeigt, wie es gelingen kann, sowohl die Interessen von ArbeitnehmerInnen als auch die von ArbeitgeberInnen zu berücksichtigen, spricht aber auch über die Komplexität ihrer Einführung und die Probleme ihrer Generalisier- bzw. Umsetzbarbarkeit für die gesamte Arbeitswelt.
Das Interview wurde im Rahmen des Podcasts 361° Sozialkompass geführt und wird hier gekürzt und adaptiert wiedergegeben. Zur ungekürzten Podcast-Folge
Henning Klingen: Herr Ebner, Sie leiten seit 25 Jahren das Unternehmen Elektro Kagerer und haben 2022 – also vor ca. einem Jahr – die 4-Tage-Woche eingeführt. Was hat Sie persönlich veranlasst, diesen Schritt zu setzen? Was war der Auslöser dafür?
Christian Ebner: In unserem Betrieb gab es schon vor der Einführung der 4-Tage-Woche – in Annäherung an die Bauwirtschaft – „kurze“ und „lange“ Wochen. D.h. in einer Woche wurde am Freitag gearbeitet, in der nächsten Woche war der Freitag frei, wobei die Arbeitszeit bei 38,5 Stunden geblieben ist. Es hat damals also keine Verkürzung der Arbeitszeit gegeben, nur eine Verschiebung. Die Idee zur 4-Tage-Woche mit Arbeitszeitverkürzung ist dann zunächst von unseren MitarbeiterInnen ausgegangen. Verschiedene MitarbeiterInnen sind aus unterschiedlichen Gründen mit dem Wunsch nach einer „echten“ 4-Tage-Woche auf mich zugekommen. Ich habe das Thema dann aufgegriffen und begonnen, ernsthaft darüber nachzudenken – natürlich in meiner Position nicht nur aus Sicht der ArbeitnehmerInnenseite, sondern auch aus der des Arbeitgebers. Speziell in Bauunternehmen bin ich durchaus der Meinung, dass die 4-Tage-Woche flächendeckend kommen wird, und da stellt man sich als Unternehmer natürlich die Frage: Warum nicht bei den Ersten dabei sein, die das machen? Aus Arbeitgebersicht hat man dadurch nämlich den Vorteil, leichter MitarbeiterInnen zu finden, die bei uns arbeiten möchten. Und das war auch die Hoffnung, bei der Einführung der 4-Tage-Woche. Diese Mischung – der Wunsch der bestehenden MitarbeiterInnen und die Hoffnung, neue MitarbeiterInnen stärker anzuziehen – war der Grund, warum wir den Versuch gewagt haben.
Markus Schlagnitweit: Wie gestaltet sich die Arbeitszeitverkürzung in Ihrem Betrieb?
Christian Ebner: Unsere MitarbeiterInnen arbeiten jetzt nicht mehr 38,5 Wochenstunden, so wie es der Kollektivvertrag vorsieht, sondern 36 Wochenstunden, also vier Tage à neun Stunden. Die Entscheidung kommt u.a. auch daher, dass es mit der aktuellen Gesetzeslage nicht möglich ist, die 38,5 Stunden auf vier Tage zu verteilen, weil man sonst sehr schnell ein Problem mit dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz bzw. mit dem Jugendschutzgesetz bekommt. Das war ein Grund für die Verkürzung der Arbeitszeit. Konkret heißt das, wir haben 36 Wochenstunden, wobei die MitarbeiterInnen trotzdem in einer Vollbeschäftigung sind: Meine MitarbeiterInnen sind für 38,5 Stunden gemeldet, wie es der Kollektivvertrag verlangt, und das Gehalt ist gleichgeblieben. Wir zahlen unsere MitarbeiterInnen für 38,5 Stunden, und sie geben uns dafür 36 Stunden Arbeitszeit.
Markus Schlagnitweit: Ist das für das Unternehmen eine betriebswirtschaftliche Herausforderung, oder sagen Sie, die Produktivität ist im Wesentlichen gleichgeblieben, und was davor in 38,5 Stunden geleistet wurde, wird jetzt in 36 Stunden geleistet?
Christian Ebner: Das ist eine sehr interessante Frage. Wir haben uns das natürlich vor der Einführung der 4-Tage-Woche durchgerechnet und sind – aus einer rein monetären Sicht betrachtet – als Betrieb doch mit einer sehr schönen Summe in Vorleistung gegangen. Wobei ich immer davon überzeugt war, dass man dies mit einer gestiegenen Produktivität ausgleichen kann. Ich bin nie davon ausgegangen, dass die Produktivität gleichbleibt, sondern dass sie steigt und wir diesen „Vorschuss“ von unseren MitarbeiterInnen zurückbekommen. Das war mein Zugang, und ich glaube, wenn man den nicht hat, dann geht man den Schritt auch nicht. Wir sind eben ein Montagebetrieb, und da muss ich mich z.B. darauf verlassen können, dass meine MitarbeiterInnen um 7:00 h auf der Baustelle draußen mit der Arbeit beginnen und nicht um 5 oder 10 nach 7:00 h, dass sie eine Pause einhalten, dass sie das Ende der Arbeitszeit einhalten etc. Das habe ich auch an meine MitarbeiterInnen so kommuniziert: Wir gehen in Vorleistung mit einem gut fünfstelligen Betrag, ich gehe aber davon aus, dass wir das hereinholen werden. Dazu muss ich sagen – ein Jahr zurückblickend: das passt. Wir haben also durch die 4-Tage-Woche – das traue ich mich zu behaupten und kriege es auch bestätigt vonseiten der MitarbeiterInnen bzw. dem Betriebsrat – das Betriebsklima und die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen so weit erhöhen können, dass sich das ausgeht.
Henning Klingen: Wie werden sie in Ihrer Umgebung beäugt? Kritisch? Oder findet das schon Nachahmung in Ihrer Region?
Christian Ebner: Das wird wohl unterschiedlich gesehen. Wir haben gemerkt, dass es sowohl bei Firmen, die sich gemeldet haben, als auch bei den Sozialpartnern zwei Strömungen gibt: Die Arbeitgeber-Vertretungsseite, in unserem Fall die Wirtschaftskammer, hat gleich gewusst, warum es eine 4-Tage-Woche nicht geben kann; also die haben uns diesbezüglich nicht unterstützt – im Gegenteil: Die haben uns immer erklärt, warum was nicht geht. Das war die eine Seite. Und die andere Seite war der Betriebsrat und die Gewerkschaft als Sozialpartner, die das begrüßt haben, aber im ersten Step auch ein Forderungspaket aufgestellt haben, das eigentlich nicht erfüllbar war. Daher waren wir ganz kurz davor, den Gedanken der 4-Tage-Woche wieder zu verwerfen, aufgrund ihrer schwierigen Umsetzbarkeit bezüglich der gesetzlichen Vorgaben und der Wünsche der Sozialpartner. Die Lösung war dann, dass wir uns arbeitsrechtliche Hilfe von außen geholt haben, und siehe da, auf einmal ist es doch gegangen.
Markus Schlagnitweit: Sie sagen, bei Ihnen hat es auch eine Rolle gespielt, dass Sie schon vorher am Rhythmus der Bauwirtschaft ausgerichtet waren. Würden Sie sagen, dass Sie die Veränderung in Richtung 4-Tage-Woche auch in anderen Branchen sehen? Kritisch könnte es z.B. in Berufen sein, wo man nicht einfach von Produktivitätssteigerungen sprechen kann, wie zum Beispiel im Care-Bereich und überall dort, wo Menschen anwesend sein müssen, egal, ob gerade sehr viel oder etwas weniger zu tun ist. Zum Beispiel bei einem Krankenhaus-Nachtdienst, wo – egal ob er sehr stressig oder eher entspannt ist – eine gewisse Anzahl an Personen da sein muss. Geht der Trend Ihrer Meinung nach auch in solchen Branchen – bzw. gesamtgesellschaftlich – in Richtung 4-Tage-Woche?
Christian Ebner: Primär bin ich der Meinung, dass es von ArbeitnehmerInnen generell den Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung gibt. Ob das in allen Branchen mit den aktuellen Vorgaben möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Wie Sie richtig gesagt haben, in einem Krankenhaus wird es unter den jetzigen Voraussetzungen nicht gehen, dort gibt es jetzt schon zu wenig Personal. Ich glaube, dass da die Politik gefordert ist, den Fachkräftemangel, den wir unbestritten haben, zu verringern, denn nur die Politik ist in der Lage, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um den österreichischen Arbeitsmarkt beispielsweise für ausländische Arbeitskräfte interessanter und auch leichter zugänglich machen. Es müssten in der Politik Wege geschaffen werden für die MitarbeiterInnen, die wir brauchen, damit in allen Branchen eine 4-Tage-Woche realistisch sein kann. Da gehören, glaube ich, gewisse Hausaufgaben früher erledigt, bevor wir uns über eine 4-Tage-Woche mit Arbeitszeitreduktion für alle Branchen unterhalten können.
Henning Klingen: Was kriegen Sie denn an Rückmeldung von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Was machen die denn jetzt in Ihrer Freizeit?
Christian Ebner: Viele nutzen es, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, oder auch für Hobbies: zum Fischen, Golfen etc. Natürlich haben wir auch MitarbeiterInnen, die sagen „Toll, jetzt kann ich am Freitag dem Nachbarn ‚helfen‘ und nicht nur am Samstag“. Es ist wirklich bunt gemischt.
Henning Klingen: Vielleicht könnten Sie zum Abschluss eine Art Leitfaden skizzieren. Was würden Sie anderen Unternehmen, die über die Einführung der 4-Tage-Woche nachdenken, raten?
Christian Ebner: Der erste Schritt ist sicherlich, in die Belegschaft reinzuhören, sich anzusehen, was dort gewollt wird. Und dann auch zu überlegen, was will die Unternehmerseite, was ist für diese Seite möglich? Ab dem Punkt, wo man es wirklich konkret umsetzen will, lohnt es sich sicher, einen externen Berater zu holen, der die 4-Tage-Woche wirklich auf Punkt und Beistrich vertraglich umsetzt. Das halte ich für sehr wichtig, denn es räumt viele Diskussionen im Unternehmen aus, aber auch mit Dritten. Wichtig ist auch, nach der Umsetzung immer noch an der Belegschaft dranzubleiben und reinzuhören: Wie geht es Ihnen damit? Ist das eigentlich eine gute Lösung geworden? Für unser Unternehmen habe ich festgestellt: Würde ich jetzt die 4-Tage-Woche wieder beenden, würde ich wahrscheinlich gesteinigt werden.
Markus Schlagnitweit: Abschließend denke ich, dass es, wenn es weiter in Richtung Arbeitszeitflexibilisierung gehen wird, es wohl generell eine gewisse Ungleichzeitigkeit geben wird, an welchen Tagen gearbeitet wird. In dem Zusammenhang möchte ich auf etwas Wichtiges hinweisen: Ich sehe eine gewisse Gefahr, dass sich dann bestimmte gemeinsame Zeitrhythmen für eine Gesellschaft überhaupt auflösen. Eine Gesellschaft braucht aber auch so etwas wie gemeinsame Zeit, Rhythmen, gemeinsame Freizeiten. Ich spreche hier ganz im Sinne der Allianz für einen freien Sonntag. Es muss aus meiner Sicht weiterhin dafür Sorge getragen werden, dass es weiterhin einen Wochentag gibt – und das wäre in unserem Kulturkreis klassisch wohl der Sonntag – der für alle gemeinsam frei ist. Ich sage freilich auch gleich dazu: Wir haben jetzt schon viele Menschen, die am Sonntag arbeiten müssen, auch im Dienste des Gemeinwohls und der Gesellschaft. Aber gesellschaftlich gemeinsame Zeitrhythmen dürfen zumindest nicht aus dem Blick verloren gehen.
Henning Klingen: Vielen Dank. Ich finde, das können wir auch als Schlusswort so stehen lassen. Danke auch Herrn Ebner für die Schilderung Ihrer Eindrücke, und dass Sie uns ein Bild davon gegeben haben, wie es ist, eine 4-Tage-Woche einzuführen.