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3.5.2023
„Moralische Ökonomie“ – eine alternative Perspektive zum Thema „Preisregulierung“
Autor: Sebastian Thieme
Wenn in Krisenzeiten – wie der Corona-Pandemie – die Preise für tägliche Gebrauchsgüter in einem Maße steigen, das viele Menschen sich in existenzielle Not gebracht sehen, dann mag die Forderung nach einer gesellschaftlichen (staatlichen) Regulierung der Preise nicht verwundern. Besonders prominent wurden und werden Preisregulierungen von Isabella Weber diskutiert, die an der deutschen „Gaspreisbremse“ mitwirkte. Isabella Weber verweist in ihrer Argumentation einerseits auf die umfangreichen Preisregulierungen in den USA im zweiten Weltkrieg, andererseits aber auch auf die Transformationserfahrungen in China ab den 1980er Jahren (siehe dazu das Interview in der Oxi-Ausgabe April 2023 und ihr aktuelles Buch „Das Gespenst der Inflation“).
Vor diesem Hintergrund hat sich Sebastian Thieme für die April-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins „Oxi – Wirtschaft anders denken“ mit einer etwas anderen – plural-ökonomischen – Perspektive auseinandergesetzt: Er widmet sich dort dem in der Ökonomik weitestgehend unbekannten Begriff der „moral economy“, wie er von Edward P. Thompson (1924-1993) in seiner Auseinandersetzung mit den Brotaufständen im England des 18. Jahrhunderts und später vor allem von James C. Scott verwendet wurde. Ökonomisches Handeln ist dort an Legitimationsvorstellungen geknüpft, die in vergangenen Zeiten die Grundlage für Preis- und Marktregulierungen bildeten, teils Anlass für Aufstände waren, aber auch zu spezifischen Wirtschaftsstrategien anhielten (safte first principle). So ermöglicht die Perspektive von James C. Scott, der ein „right to subsistence“ als handlungsleitendes (Moral-) Prinzip und Wirtschaftsmotiv ins Zentrum stellt, auch ein anderes Verständnis von ‚Wirtschaft‘ und ‚ökonomischer Rationalität‘, bietet aber gleichzeitig andere Zugänge zu Phänomenen, die üblicherweise mit dem Begriff „Armut“ belegt sind.
Das Fazit von Sebastian Thieme: „Es existieren […] sehr gute Gründe dafür, sich auch heute noch – in globalisierten Marktgesellschaften – den wirtschaftlichen Phänomenen aus Sicht einer »moral economy« zu nähern. Und in der Tat legen es die Ausführungen von James C. Scott nahe, die dort ausgebreiteten Erkenntnisse auf moderne Industrie- und Marktgesellschaften anzuwenden, insbesondere mit Blick auf Arbeitsbeziehungen.“
Link: »Moral Economy« – ein anderer Blick auf ›Wirtschaft‹ (Oxi, April 2023)