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22.4.2021
Menschenrechte brauchen Gesetze. Damit Lieferketten nicht verletzen
Vom Kaffee zum Frühstück bis zum Smartphone: wir alle verwenden auch im Jahr 2021 tagtäglich Produkte, die auf Arbeitsausbeutung basieren. Auf westafrikanischen Kakaoplantagen arbeiten noch immer rund 1,5 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Für unsere Schokolade hantieren Kinderhände mit Pestiziden und Macheten. Weltweit arbeiten 73 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Verhältnissen. 2021 wurde von der UNO zum internationalen Jahr gegen Kinderarbeit erklärt.
Für verbindliche Regeln
NGOs, kirchliche VertreterInnen und Gewerkschaften fordern weltweit verbindliche Regeln für Unternehmen, damit diese Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. Seit 2015 wird im Menschenrechtsrat der UNO über das Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten verhandelt. Das sogenannte UN-Treaty soll dazu führen, dass Unternehmen Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Aktivitäten übernehmen müssen. Besonders wichtig ist in diesem Kontext, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen Zugang zu Rechtsmitteln erhalten und entschädigt werden. Auch Papst Franziskus spricht sich für die Einführung von verbindlichen Regeln aus: „Es ist notwendig, die nationale und internationale Gesetzgebung zu stärken, so dass sie die Aktivitäten der Konzerne, die den Abbau von Bodenschätzen betreiben, reguliert und es den Geschädigten ermöglicht, den Rechtsweg zuverlässig zu beschreiten.“1 Auch im nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ zur Amazonien-Synode wird festgehalten: „Den nationalen oder internationalen Unternehmen, die Amazonien Schaden zufügen und das Recht der ursprünglichen Völker auf ihr Gebiet und seine Grenzen, auf Selbstbestimmung und vorherige Zustimmung nicht achten, muss man den Namen geben, der ihnen gebührt: Ungerechtigkeit und Verbrechen.“2 Im Jahr 2019 wurden 212 UmweltschützerInnen ermordet, zwei Drittel davon in Lateinamerika. Das bedeutet, dass pro Woche etwa vier UmweltschützerInnen ermordet wurden. Auch zahlreiche weitere kirchliche Vertreter sehen die Notwendigkeit Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt zu verpflichten. So fordern 233 Bischöfe aus 43 Ländern in einer gemeinsamen Erklärung die Einführung von verbindlichen Regeln. Unter den 7 Kardinälen, die das Schreiben unterstützen, befindet sich auch Erzbischof Kardinal Schönborn.
Initiativen auf verschiedenen Ebenen
Auch auf EU-Ebene gab es eine Reihe an Entwicklungen, die Hoffnung aufkommen lassen: vor rund einem Jahr kündigte der EU-Justizkommissar Didier Reynders überraschend an, einen Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorzulegen. Die Ankündigung überraschte, denn bis dahin herrschte der Tenor, dass freiwillige Selbstverpflichtungen reichen. Dass dies nicht der Fall ist, verdeutlichten u.a. der Brand der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises, der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza (Bangladesch) sowie der Staudammbruch in Brumadinho (Brasilien), wo eine Schlammlawine rund 270 Menschen in den Tod riss. Der von Reynders angekündigte Entwurf soll im Juni präsentiert werden. Erst vor wenigen Wochen nahmen 504 Abgeordnete des EU-Parlaments einen legislativen Initiativbericht für ein EU-Lieferkettengesetz an. Dieser ist ein Instrument, mit dem das EU-Parlament die EU-Kommission zum Handeln aufrufen kann. Die parteienübergreifende Mehrheit für den Bericht ist ein klares Zeichen: Menschenrechte dürfen keine Parteigrenzen kennen! In Frankreich gibt es bereits seit 2017 ein Lieferkettengesetz und in Deutschland wurde erst kürzlich ein Entwurf für ein Lieferkettengesetz präsentiert. Auch in Österreich gibt es nun Bewegung: der Wiener Landtag hat einen Antrag beschlossen, in dem er die Einführung eines österreichischen Lieferkettengesetzes fordert. Ende März wurde zudem auch ein Entschließungsantrag zur Einführung eines Lieferkettengesetzes im Nationalrat eingebracht. Wichtig ist hierbei, dass ein Lieferkettengesetz auch wesentliche Elemente beinhalten muss. Hierzu zählen menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sowie eine zivilrechtliche Haftung. Sorgfaltspflichten können einen wesentlichen Beitrag leisten, damit Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden erst gar nicht stattfinden. Durch eine zivilrechtliche Haftung kann gewährleistet werden, dass Betroffene Zugang zu Rechtsmitteln erhalten und entschädigt werden. Generell muss ein Lieferkettengesetz für die gesamte Lieferkette gelten und alle Sektoren abdecken.
Kampagne und Petition
Am 7. Oktober 2020, dem internationalen Tag für menschenwürdige Arbeit, startete die zivilgesellschaftliche Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze!“, die ein Lieferkettengesetz in Österreich und in der EU sowie Unterstützung für das UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten fordert. Die Kampagne wird von der Treaty Alliance Österreich getragen – einem Bündnis aus NGOs, dem ÖGB und der Arbeiterkammer. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, startete die Kampagne zudem eine Petition, die unter www.menschenrechtebrauchengesetze.at unterschrieben werden kann. Menschenrechte brauchen Gesetze, denn: „[w]ir dürfen nicht zulassen, dass die Globalisierung zu einer »neue[n] Form des Kolonialismus« wird.“, wie Papst Franziskus im Schreiben „Querida Amazonia“ festhielt.
1 http://www.vatican.va/content/francesco/de/messages/pont-messages/2020/documents/papa-francesco_20200901_messaggio-giornata-cura-creato.html
2 http://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20200202_querida-amazonia.html
Über die Autorin
Tina Rosenberger ist Koordinatorin der zivilgesellschaftlichen Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze!“ und Geschäftsführerin des NeSoVe (Netzwerk Soziale Verantwortung).